TIROLER TAGESZEITUNG „Leitartikel“ vom 9. November 2018 von Mario Zenhäusern „Land der Verhinderer“

Innsbruck (OTS) – Die Idee, auf den Autobahnen im Großraum Innsbruck
frühmorgens und abends die Pannenstreifen für den Verkehr
freizugeben, stößt auf wenig Gegenliebe. Dabei könnte ein
Probebetrieb wertvolle Erkenntnisse liefern.

Tirol steckt wieder einmal mitten in einer heftigen Verkehrsdebatte.
Es geht um die simple Frage, ob die Asfinag künftig in den Stauzonen
rund um Innsbruck zeitweise berechtigt sein soll, den Pannenstreifen
zu öffnen und den Verkehrsteilnehmern damit eine dritte Spur
anzubieten, um die derzeit alltägliche Bildung von langen und
zeitraubenden Staus zu vermeiden. Was im benachbarten Bayern seit
mehr als einem Jahrzehnt völlig klaglos funktioniert – als Beispiel
sei hier nur der Großraum München erwähnt –, lässt hierzulande nicht
nur Ökoparteien auf die Barrikaden steigen. Auch die Landes- und die
Innsbrucker Stadtregierung signalisieren alles andere als Zustimmung
zu der Idee, die letztlich lediglich für mehr Verkehrsfluss sorgen
soll. Mittlerweile scheint auch das dem Ansinnen der Asfinag
grundsätzlich aufgeschlossen gegenüberstehende Verkehrsministerium
die Lust an einer Reform verloren zu haben. Wenn die Tiroler lieber
im Stau stehen, sollen sie das halt tun, scheint der Tenor dort zu
lauten. Im Wortsinn auf der Strecke bleiben die zahllosen Pendler und
Berufskraftfahrer.
Selbstverständlich gibt es auf lange Sicht ökologisch verträglichere
Lösungen für dieses Problem als die zeitweise Öffnung des
Pannenstreifens. Aber die Tatsache der täglichen Staubildung beweist,
dass diese Lösungen entweder (noch) nicht existieren oder nicht
funktionieren. Bis das endlich so weit ist, könnte die dritte Spur
als Alternative dienen.
Die Angst, die Freigabe des Pannenstreifens würde die Transitpolitik
des Landes torpedieren, ist unbegründet, weil die Maßnahme zeitlich
und räumlich klar begrenzt ist. Und wenn die Dosierung des
Transitverkehrs durch die Blockabfertigung in Kufstein davon abhängt,
ob auf der Inntalautobahn zwischen Hall und Kematen in den Stoßzeiten
frühmorgens und abends für eine oder zwei Stunden freie Fahrt möglich
ist oder nicht, ist ihre Sinnhaftigkeit ohnedies zu hinterfragen.
Ein mehrwöchiger Probebetrieb für den offenen Pannenstreifen könnte
Befürwortern und Gegnern wertvolle Erkenntnisse liefern. Es würde
sich herausstellen, wie sich die Maßnahme auf den Verkehrsfluss
auswirkt, ob die Verkehrsbelastung der Innenstadt zur fraglichen Zeit
zu- oder abnimmt, ob sich die Luftsituation im Großraum Innsbruck
verbessert oder verschlechtert. Wer so eine Chance ungenützt
verstreichen lässt, erklärt den Stillstand zum verkehrspolitischen
Grundsatz und macht aus Tirol ein Land der Verhinderer.

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