TIROLER TAGESZEITUNG „Leitartikel“ Samstag, 17. November 2018, von Mario Zenhäusern: „Richtungsweisendes Signal“

Innsbruck (OTS) – Der zunehmende Widerstand gegen besonders
ausufernde Tourismusprojekte ist die logische Konsequenz einer
Investitionskultur, die unter dem Motto „Zuerst bauen, dann fragen“
funktioniert und sich viel zu lange gehalten hat.

Geht’s der Wirtschaft gut, geht’s uns allen gut. Eine Kampagne der
Österreichischen Wirtschaftskammer (WKÖ) steht sinnbildlich für eine
politische Grundhaltung, die Österreich in den vergangenen
Jahrzehnten geprägt hat. Wirtschaft, das ist in Tirol in erster Linie
der Tourismus. Ihm wird hierzulande zwar nicht alles, aber doch
vieles untergeordnet. Raumordnung, Natur- und Umweltschutz, Ausbau
der Infrastruktur – zu viele umstrittene Entscheidungen fielen und
fallen mit Blick auf Nächtigungszahlen und Gewinnmaximierung.
Der Widerstand gegen diese Politik des Drüberfahrens zieht immer
breitere Kreise. Er manifestiert sich bei besonderen Auswüchsen der
Tiroler Tourismuspolitik. Wenn Seilbahnbetreiber die Natur mit
Projekten wie Snow-Farming (Kitzbühel) austricksen, mit immer neuen,
immer gigantischeren Projekten der Umwelt nicht wieder gutzumachenden
Schaden zufügen oder sich nicht um geltende Umweltauflagen scheren,
stoßen sie zu Recht auf Kritik. Dieser Protest ist die logische
Konsequenz einer Investitionskultur, die nach dem Motto „Zuerst
bauen, dann um die Genehmigung ansuchen“ funktioniert und sich viel
zu lange gehalten hat. Viel zu lange stand der zahlende Gast im Fokus
und nicht der Einheimische, der hier seinen Lebensmittelpunkt hat.
Damit ist es endgültig vorbei. Sonst riskieren die Verantwortlichen
in Politik und Tourismus Verhältnisse wie am Mittelmeer, wo Touristen
plötzlich unerwünscht sind.
Aber Vorsicht! Das Schlechteste, was jetzt passieren könnte, ist
ein Totalboykott jeder touristischen Weiterentwicklung. Nicht alles,
was Einnahmen bringt, ist von vornherein abzulehnen. Nicht jedes
Liftprojekt ist grundsätzlich schlecht. Es geht um so einfache Dinge
wie Sensibilität oder Augenmaß. Es geht um Nachhaltigkeit,
Transparenz und um einen möglichst breit angelegten
Beteiligungsprozess. An dem auch jene teilnehmen können, die am
unmittelbarsten vom Ausgang dieser Diskussionen betroffen sind, weil
sie in diesem Land leben.
Die Bundesregierung steuert derzeit exakt in die Gegenrichtung.
Geht es nach Türkis-Blau, zählt das klaglose Funktionieren der
Wirtschaft künftig mehr als Bürgerbeteiligung. Die Tiroler
Landesregierung hingegen hat aufgrund anhaltender Proteste
entschieden, die Neufassung der Seilbahngrundsätze nicht über alle
Köpfe hinweg zu beschließen, sondern breiter als geplant zu
diskutieren. Das auf diese Weise gesendete Signal ist
richtungsweisend.

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