
Tiroler Tageszeitung, Ausgabe vom 21. November 2018; Leitartikel von Mario Zenhäusern: „Leistung unerwünscht“
Innsbruck (OTS) – Der ÖVP-Grundsatz „Integration durch Leistung“ hat
ausgedient, seit die Bundesregierung über Betreiben der FPÖ jungen
Asylwerbern den Zugang zur Lehre gestrichen hat. So werden die jungen
Leute zum Nichtstun gezwungen.
Sollen Lehrlinge mit negativem Asylbescheid das Land verlassen
müssen oder nicht? Diese Frage stellt sich nicht erst, seit das
Schicksal des 20-jährigen Nigerianers Abraham Okojie die Bevölkerung
spaltet. Der junge Mann lebt seit Juli 2016 gut integriert in Telfs,
im Juli dieses Jahres trat er eine Lehrstelle als Kellner an. In der
Zwischenzeit wurde sein Asylverfahren rechtskräftig beendet, mit
negativem Bescheid. Abraham muss Österreich binnen vier Wochen
verlassen.
Gesetz ist eben Gesetz, sagen die Verfechter der harten Maßnahme.
Formal haben sie Recht. Im September 2018 stoppte die türkis-blaue
Bundesregierung das 2012 von ihren rot-schwarzen Vorgängern
gestartete Projekt „Lehre für Asylwerber“. Die Rücknahme des
seinerzeitigen Erlasses trägt klar die Handschrift der FPÖ: Es war in
erster Linie Vizekanzler Heinz-Christian Strache, der Asylwerbern
keinen Zugang zur Lehre mehr gewähren wollte. Der türkis-schwarze
Seniorpartner in der Regierung nahm das schweigend zur Kenntnis und
warf damit einen Eckpfeiler früherer Grundsatzprogramme auf den
Misthaufen der Geschichte: „Integration durch Leistung“ lautete eines
der ÖVP-Schlagworte, die heute keine Gültigkeit mehr besitzen.
Das Signal an die jungen Asylwerber ist fatal: Die Regierung
zwingt sie zum Nichtstun. Zum tatenlosen Warten auf das Ende der
immer noch viel zu langen Verfahren. Vor allem junge Leute wie
Abraham nützen die Zeit, um sich zu integrieren, in die Gemeinschaft
einzubringen. Umsonst, wie sich jetzt erweist.
Was für ein Widerspruch!
Deutschland hat in dieser Frage einen pragmatischen Weg
eingeschlagen. Die Regel lautet 3 + 2: Asylwerber, die bereits eine
Lehre begonnen haben, dürfen die dreijährige Ausbildung auch bei
negativem Asylbescheid absolvieren und danach zwei weitere Jahre im
erlernten Job arbeiten. Danach kehren sie als gut ausgebildete
Fachkräfte in ihre Heimat zurück. Eine Win-win-Situation für beide
Seiten – für die Asylwerber, die trotz negativen Bescheids vom
Aufenthalt in Deutschland profitieren, und für die Arbeitgeber, die
auch in jenen Lehrbereichen Planungssicherheit bekommen, für die es
keine oder kaum Bewerber gibt.
Auch in Österreich murren immer mehr Unternehmer über den
Lehrlingsmangel, der sich laut Experten in den nächsten Jahren noch
verschärfen wird. Warum also regelt die Regierung das Problem nicht
endlich so, dass wie in Deutschland beide Seiten davon profitieren?
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