Tiroler Tageszeitung, Ausgabe vom 22. November 2018; Leitartikel von Christian Jentsch: „Blutige Allianzen jenseits aller Werte“

Innsbruck (OTS) – US-Präsident Trump stellt die engen Beziehungen zu
Saudi-Arabien trotz der Vorwürfe rund um den Mordfall Khashoggi nicht
in Frage. Es geht um das große Geschäft und die Feindschaft zum Iran.
Werte und Verantwortung bleiben außen vor.

Eines muss man dem US-Präsidenten Donald Trump ja lassen: Es geht
ihm nicht darum, Hintergründe zu verschleiern und von den wahren
Beweggründen seiner Politik abzulenken, so verstörend sie auch sein
mögen. Donald Trump will nicht der Bewahrer der freien westlichen
Welt mit ihrem Wertekanon sein. Mit diesen Werten – mit denen, das
muss man offen zugeben, auf dem Parkett der internationalen Politik
meist ein unehrliches Spiel getrieben wird – hat Trump nichts am Hut.
Gar nichts. Und auch seine Freunde sind von diesen lästigen Zwängen
befreit. Die Affäre rund um den in der saudischen Botschaft in
Istanbul grausam ermordeten Journalisten Jamal Khashoggi, der bei den
Herrschenden im saudischen Königshaus in Ungnade gefallen war,
illustriert die schöne neue Welt jenseits von Werten und
Verantwortung.
Der US-Auslandsgeheimdienst CIA sieht laut Washington Post den
saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman, den mächtigsten und
politisch äußerst aggressiv agierenden Mann im wahhabitischen
Königreich, als Drahtzieher im Mordfall Khashoggi. Doch Trump denkt
nicht daran, daraus ernsthafte Konsequenzen zu ziehen. Sein Argument:
Die wirtschaftlichen und politischen Bande zu Saudi-Arabien sind
einfach zu eng, in der gemeinsamen Front gegen den Iran und in
Hinblick auf Mega-Geschäfte mit den USA. Laut Trump geht es um (nicht
belegte) Geschäfte und Investitionen im Wert von 450 Milliarden
US-Dollar. Und so ganz nebenbei: Trump hat mit seinem Konzern
jahrelang gute Deals mit den Saudis gemacht, was aber keine Rolle
spielen soll. Trumps erste Auslandsreise als neuer US-Präsident
führte ihn im Mai 2017 jedenfalls nach Riad, wo er gleich einen 110
Milliarden US-Dollar schweren Rüs­tungsdeal verkündete. In Trumps
„America first“-Politik bleiben die Saudis also enge Freunde, da soll
der lästige Fall Khashoggi nicht weiter stören.
Während Saudi-Arabien geschont wird, soll der Iran mit den laut
Trump „fürchterlichsten Sanktionen der Geschichte“ in die Knie
gezwungen werden. Nach der einseitigen Aufkündigung des Atom-Deals
seitens der USA ist Anfang November ein Sanktionsregime in Kraft
getreten, das den Iran knicken soll. Getroffen werden damit freilich
genau die Falschen. Unter die Räder kommt die großteils prowestlich
eingestellte Bevölkerung, insbesondere die Mittelschicht. Die
Hardliner, die sich gegen die Öffnung des Iran stemmen, feiern
hingegen die neue Eskalation. Es ist ein seltsames Spiel, das da im
Nahen Osten gespielt wird. Und übrigens: Europa spielt mit.

Tiroler Tageszeitung
0512 5354 5101
chefredaktion@tt.com

OTS-ORIGINALTEXT PRESSEAUSSENDUNG UNTER AUSSCHLIESSLICHER INHALTLICHER VERANTWORTUNG DES AUSSENDERS. www.ots.at
© Copyright APA-OTS Originaltext-Service GmbH und der jeweilige Aussender