
TIROLER TAGESZEITUNG, Leitartikel vom 26.November 2018 von Christian Jentsch – „Drama um Brexit hat erst begonnen“
Innsbruck (OTS) – Auf dem gestrigen Sondergipfel in Brüssel gab die
EU grünes Licht für den Scheidungsvertrag mit den Briten. Doch das
Parlament in London kann immer noch auf Rot schalten und nicht nur
May einen Strich durch die Rechnung machen.
Feierstimmung herrschte gestern keine in Brüssel. Beim
Brexit-Sondergipfel wurde von den EU-Staaten zwar der
Scheidungsvertrag mit Großbritannien besiegelt und auch die
politische Erklärung über die künftigen Beziehungen zwischen Brüssel
und London abgesegnet, doch der mühsam ausverhandelte Brexit-Deal ist
noch nicht ausgemachte Sache. Das Drama um den Brexit hat in Wahrheit
erst begonnen. Dass die verbleibenden EU-27 dem ausgehandelten
Abkommen zustimmen, war ja nun wirklich keine große Überraschung. Und
dass mit dem Feilschen um Gibraltar in letzter Minute noch ein
Stolperstein aus den Weg geräumt werden musste, diente wohl in erster
Linie der politischen Inszenierung.
Doch nun geht es sprichwörtlich um die Wurst. Ob es am 29. März 2019
zu einem geregelten Ausscheiden Großbritanniens aus der EU – nach den
Spielregeln des 585 Seiten umfassenden Austrittsabkommens – kommt, ob
es zu einem chaotischen Brexit ohne Deal kommt, ob es in
Großbritannien zu Neuwahlen kommt, ob es zu einer Verschiebung des
Austrittstermins kommt oder ob es gar zu einem (sehr
unwahrscheinlichen) neuerlichen Brexit-Votum kommt, liegt nun allein
in den Händen der Abgeordneten des britischen Unterhauses.
Auch wenn die EU gestern grünes Licht für den Brexit-Deal gegeben
hat, kann das britische Parlament immer noch auf Rot schalten und den
Austrittsvertrag in den Mülleimer befördern. Und im Moment stehen die
Chancen schlecht, dass die angeschlagene britische Premierministerin
Theresa May ihren mit der EU ausverhandelten Deal durch das Parlament
boxen kann.
Die Koalition der Nicht-Willigen ist groß. Besonders in Mays eigener
Partei, den konservativen Tories, regt sich erbitterter Widerstand.
Der Tory-Abgeordnete Mark Francois erklärte bereits vor elf Tagen –
im Zuge des Rücktritts von zwei Ministern aus Mays Kabinett –, dass
es „mathematisch unmöglich ist, dieses Abkommen durch das Unterhaus
zu bekommen“. Bis zu 80 Tory-Abgeordnete verweigern May die
Gefolgschaft. Auch die nordirische Democratic Unionist Party (DUP),
auf deren Stimmen Mays Minderheitsregierung angewiesen ist, will den
Deal ablehnen. Und auch die Opposition wird sich wohl nicht auf die
Seite Mays schlagen. Labour hofft schließlich auf Neuwahlen. May
erklärte den Briten gestern nach dem Sondergipfel in Brüssel, dass
„die besten Tage vor uns liegen“. Die Frage ist nur, ob May diese
Tage als Politikerin noch erleben wird
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