
Tiroler Tageszeitung, Ausgabe vom 29. November 2018; Leitartikel von Wolfgang Sablatnig: „Eine Reform nach türkis-blauem Maß“
Innsbruck (OTS) – Die Pläne für die Mindestsicherung können
angesichts der Slogans von ÖVP und FPÖ nicht überraschen. In der Welt
der Bundesregierung ist aus dem „Fallschirm“ Sozialhilfe schon lange
eine Hängematte geworden.
Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache machen, wofür sie
gewählt wurden. Ihre Pläne für die Mindestsicherung folgen genau
ihren Slogans: „Keine Zuwanderung ins Sozialsystem!“, „Leistung muss
sich lohnen!“, „Kein Ausruhen in der sozialen Hängematte!“, das alles
garniert mit kräftigen Seitenhieben in Richtung des rot-grünen Wien.
Noch hat die Koalition nur Absichtserklärungen präsentiert und
keinen ausformulierten Gesetzesentwurf vorgelegt. Die Pläne können
aber niemanden überraschen. Mindestsicherung ist in den öffentlichen
Aussagen von Türkis und Blau schon lange nicht mehr positiv besetzt.
Sie ist nicht mehr der „Fallschirm“, der vor dem Absturz in die
soziale Tiefe bewahrt, sondern die „Hängematte“, in der es sich der
„Sozialschmarotzer“ gemütlich macht – und der „Pull-Faktor“, der
Ausländer zur Zuwanderung ins Sozialsystem motiviert.
Zuwanderer ohne ausreichende Deutschkenntnisse schlechter zu
behandeln, ist dieser Logik folgend ein Schritt genau nach
türkis-blauem Maß.
Es ist aber auch kein Versehen, dass kinderreiche Familien zu den
Verlierern gehören – wegen des Zieles der Regierung, dass ein
Sozialeinkommen spürbar niedriger sein müsse als ein
Erwerbseinkommen. Dass Kinder die Leidtragenden sind, nehmen Kurz und
Strache als Kollateralschaden in Kauf.
Auf der Habenseite hat die Koalition Alleinerziehende und Behinderte.
Ebenfalls auf der Habenseite hat die Koalition die Vereinheitlichung
der Mindestsicherung. Zur Erinnerung: Ende 2016 sind Bund und Länder
daran gescheitert, eine befristete Vereinbarung über die
Mindestsicherung neu zu verhandeln und zu verlängern. Eine Folge
dieses Scheiterns ist das Entstehen unterschiedlicher Modelle in den
Bundesländern – und die jetzt der Koalition als Rechtfertigung dafür
dienen, dass eine neue Regelung notwendig ist.
Freilich: Erst eine Gesamtschau wird eine Gesamtbewertung
ermöglichen. Noch in dieser Woche wollen ÖVP und FPÖ ein Gesetz
vorlegen, dann müssen die Länder ihre Ausführungsgesetze ausarbeiten
– und noch gibt es auch für die Zukunft des Arbeitslosengeldes und
der Notstandshilfe nur Absichtserklärungen.
Strache und Kurz jedenfalls werden alles tun, um die
Mindestsicherung als türkis-blaues Prestigeprojekt zu entwickeln und
zu vermarkten. Sie gehen davon aus, damit den Nerv ihrer Wähler zu
treffen. Und solange ihre Umfragewerte stimmen, haben sie dazu auch
allen Grund.
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