
Offener Brief: SchülerInnen in schwierigen Lebenslagen brauchen professionelle Lösungen
Die Kinder- und Jugendanwaltschaft Wien ist höchst besorgt über die Zunahme an kinderfeindlichen Einstellungen
Wien (OTS) – Unsere Gesellschaft und all ihre Institutionen haben
sich verpflichtet, das Wohl von Kindern und Jugendlichen besonders zu
schützen. Sei es vor häuslicher Gewalt und Vernachlässigung,
Diskriminierung, Mobbing in der Schule oder dem Chancenverlust durch
Armut. Dies ist in der Kinderrechtskonvention festgeschrieben und
Grundbedingung einer demokratischen Gesellschaft. Denn eine
demokratische Gesellschaft braucht Menschen, die aufeinander achten
und Verantwortung füreinander übernehmen.
Die Kinder- und Jugendanwaltschaft Wien beobachtet allerdings mit
zunehmender Sorge, dass Kinder derzeit als Feindbilder dargestellt
werden: als Schuldige, die bestraft, als prinzipiell Unwillige, die
unter Kontrolle gebracht werden sollen, als Gefahrenquelle, vor der
LehrerInnen geschützt werden müssen. Eine solche Perspektive wird
weder Kindern noch LehrerInnen gerecht und spaltet, wo es um
gemeinsame Lösungen geht.
Dadurch geraten alle zentralen in der Kinderrechtskonvention
verankerten Rechte in Gefahr: das Recht auf Diskriminierungsfreiheit,
der Vorrang des Kindeswohls, das Recht auf bestmögliche Entfaltung
sowie das Recht auf Partizipation.
Versorgung, Schutz und Teilhabe
Ein Bildungssystem in einer demokratischen Gesellschaft muss das
Recht der Kinder und Jugendlichen auf Versorgung, Schutz und Teilhabe
(die auch Mitbestimmung bedeutet) sichern. An Wiener Schulen
geschieht dies auch in einer Zeit, wo gesellschaftliche
Stimmungslagen und finanzielle Einschnitte gerade für ärmere Menschen
die soziale Sicherheit und gesellschaftliche Teilhabe von Kindern
erschweren oder gefährden.
Aus der Perspektive der Kinderrechte steht im Schulalltag ebenso
wie in Konfliktsituationen folgende Frage im Zentrum: Wie kann ich
durch mein pädagogisches Handeln das Recht der SchülerInnen auf
Schutz, Teilhabe und Versorgung erhalten und sichern?
Teamarbeit wirkt
Da vielen schwierigen Situationen oft gesellschaftliche Probleme
zugrunde liegen, können diese natürlich nicht alleine von LehrerInnen
gelöst werden.
LehrerInnen können aber auf Verhaltensveränderungen von Kindern
reagieren und Maßnahmen ergreifen, denn Hilfe zu holen ist ein
Zeichen von Professionalität.
Dies kann ein Gespräch mit der Schulpsychologin, die Planung einer
Unterrichtseinheit mit dem Schulsozialarbeiter, die Absprache mit
BeratungslehrerInnen, eine Abklärung mit der Direktion, die
Beiziehung von externen ExpertInnen oder bei einer vermuteten
Kindeswohlgefährdung eine Meldung an die Kinder- und Jugendhilfe (zu
der alle gesetzlich verpflichtet sind) sein. Ebenso steht das
Soforthilfetelefon für LehrerInnen zur Verfügung.
Also: Alles selbst und alleine lösen zu müssen ist keine Option.
Auch ist es keine Option zu warten, bis sich Probleme von alleine
lösen.
Ziel muss es daher sein: Sich beraten (zu lassen) und
lösungsorientiert handeln.
So sichern wir alle gemeinsam das Recht der Kinder auf Fürsorge,
Schutz und Teilhabe und schaffen letztlich ein gesundes Schul- und
Lernklima für alle.
Handeln wir für eine Schulkultur der Unterstützung und der
Ermächtigung!
Lassen wir SchülerInnen und LehrerInnen nicht
auseinanderdividieren und ziehen wir an einem gemeinsamen Strang!
Denn Kinder, die Probleme machen haben Probleme, ihnen kann geholfen
und Probleme können gelöst werden.
Für eine positive Konfliktkultur und sozialen Zusammenhalt
Die von bestimmten Personen geforderten Strafen oder
Suspendierungen von Kindern sind wohl, wenn man die Ursachen von
Verhaltensauffälligkeiten hinterfragt, eine denkbar unverantwortliche
Maßnahme. Durch Bestrafung oder Segregation werden weder die Symptome
noch deren Ursachen bekämpft. Die Probleme werden hierdurch lediglich
aus der Schule verlagert und die Perspektiven für die betroffenen
SchülerInnen, jemals ein selbstbestimmtes Leben führen zu können,
verringert.
Wenn wir Probleme an Schulen analysieren, so werden soziale und
gesundheitliche Faktoren sichtbar, die sich wechselseitig
beeinflussen.
So wirken sich schwere Erkrankungen auf das soziale Leben wie auch
auf die Psyche aus, soziale Probleme wiederum auf die Psyche.
Der derzeitige Diskurs, in dem Kinder als TäterInnen dargestellt
werden, treibt einen Keil zwischen SchülerInnen und LehrerInnen und
verhindert pädagogisch sinnvolle und nachhaltige Lösungen.
Wollen wir wirksam und dauerhaft mit SchülerInnen an Lösungen
arbeiten, so wird der Stellenwert eines professionellen
Supportsystems sichtbar – SozialarbeiterInnen, PsychologInnen und
ProfessionistInnen aus dem Gesundheitsbereich, die gemeinsam mit
PädagogInnen und DirektorInnen, der Kinder- und Jugendhilfe und
gegebenenfalls mit der Exekutive für das Wohl unserer SchülerInnen
arbeiten.
Und auch wenn hier noch Luft nach oben ist: Es gibt sie, die
LehrerInnen, die bereits jetzt erfolgreich Traumapädagogik in ihren
beruflichen Alltag einbauen. Es gibt LehrerInnen, die einen Teil
ihrer Arbeitszeit in Fortbildungen investieren. Auch gibt es
LehrerInnen, die das Soforthilfetelefon in Anspruch nehmen um unklare
Situationen zu reflektieren. Sie wollen ihre Handlungssicherheit
erhöhen und sich aktiv bezüglich einer Vernetzung mit anderen
Helfersystemen erkundigen oder um Unterstützung zu erhalten, wenn
Vorgesetzte die Augen vor Problemen verschließen.
Andererseits gibt es auch Eltern, die sich über PädagogInnen
beschweren, da sie der Meinung sind, dass diese ihren Pflichten nicht
nachkommen oder bereits in Volksschulklassen bei vermeintlichen
Problemen rasch auf Suspendierungen von SchülerInnen drängen.
Wir stehen für professionelle Lösungen
Das Soforthilfetelefon ist von Montag bis Freitag zwischen 9:00
und 16:00 Uhr unter der Nummer 01 50 55 000 erreichbar. Sollten die
Leitungen besetzt sein, rufen wir, sofern die Rufnummer nicht
unterdrückt wurde, zurück. Bei Anrufen mit unterdrückter Rufnummer
bitten wir um erneuten Anruf zu einem späteren Zeitpunkt.
Also: Rufen Sie uns an! Tun Sie es gerne auch anonym – wir
behandeln Ihr Anliegen streng vertraulich.
Gemeinsam arbeiten wir mit Ihnen daran, dass Schule gelingt. In
einem Klima der positiven Konfliktkultur, der Anerkennung und
Teilhabe.
Wir freuen uns auf Sie!
Kinder- & Jugendanwaltschaft Wien
DSAin Monika Pinterits, Mag. Ercan Nik Nafs
(++43-1) 70 77 000
post@jugendanwalt.wien.gv.at
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