
TIROLER TAGESZEITUNG, Leitartikel vom 5.Januar 2019 von Mario Zenhäusern – „Toleranz fordern, Intoleranz leben“
Innsbruck (OTS) – Um des Themas Hass-Postings im Internet Herr zu werden, braucht es eine Stärkung des Bewusstseins, dass Meinungsfreiheit kein Freibrief für die Beleidigung, Belästigung oder Beschimpfung von Mitmenschen ist.
Wenn es noch eines Belegs für die Tatsache bedurft hätte, dass die Unsitte der Hass-Postings im Internet immer schlimmere Ausmaße annimmt, die ersten Tage des neuen Jahres haben ihn geliefert. Die Nachricht von der Geburt eines Sohnes im Hause von Vizekanzler Heinz-Christian und Philippa Strache löste (wie übrigens die Geburt des – muslimischen – Neujahrsbabys 2018 auch) eine Welle rassistischer und tief verletzender Meldungen aus.
Die Tatsache, dass sich Menschen für ein erfreuliches Ereignis öffentlich beschimpfen und beleidigen lassen müssen, ist schwer nachzuvollziehen. Nachdenklich stimmt auch, dass es immer wieder selbst ernannte Qualitätsmedien sind, auf deren Internetseiten diese Hass-Orgien ungestraft erscheinen dürfen.
Nur zur Erinnerung: Als vor 30 Jahren das Internet erfunden wurde und vor etwas mehr als 20 Jahren das erste soziale Netzwerk (Facebook) entstand, galt das – anfangs vollkommen zu Recht – als Meilenstein der Kommunikationstechnologie. Heute sind die revolutionären Neuerungen von damals vielfach zur Geißel der Menschheit verkommen. Es ist, als hätten Marc Zuckerberg und Co. die Büchse der Pandora geöffnet. Nicht weil das Instrument für sich so abgrundtief schlecht ist, sondern weil eine kleine Minderheit der Benützer es nicht versteht, mit der neu gewonnenen Kommunikationsfreiheit umzugehen; weil diese Minderheit die neuen Möglichkeiten missbraucht und als Waffe verwendet. Auf einem völlig falsch verstandenen Begriff von Meinungsfreiheit aufbauend, verwenden diese Hass-Poster Plattformen, die von Dritten zur Verfügung gestellt werden, als Mistkübel. An Absurdität nicht zu überbieten ist, dass sie für ihr beleidigendes Tun auch noch Toleranz einfordern, obwohl sie gleichzeitig die Intoleranz vorleben.
Es ist höchst an der Zeit, dass die Bundesregierung die angekündigte gesetzliche Regelung in die Tat umsetzt und gegen die Pervertierung der Möglichkeiten, die das Netz bietet, vorgeht. Das von Medienminister Gernot Blümel angekündigte „digitale Vermummungsverbot“ kann allerdings nur ein erster Schritt in diese Richtung sein. Es braucht mehr, vor allem die Stärkung des Bewusstseins, dass Meinungsfreiheit nicht bedeutet, Mitmenschen straflos beschimpfen, beleidigen, belästigen oder denunzieren zu dürfen.
Voraussetzung für diesen Kurswechsel im Netz ist etwas, was den Hass-Postern längst abhandengekommen ist: Anstand und Respekt vor der Meinung anderer.
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