
Sarah Wiener: Bienengifte sind kein Honiglecken
Grüne Kandidatin schreibt offenen Brief an Landwirtschaftskammerpräsident Reisecker
Wien (OTS) – Nachdem Sarah Wiener, Kandidatin der Grünen für die Wahl zum EU-Parlament, letzte Woche die Notfallzulassung von bienengiftigen Pestiziden kritisiert hatte, widersprach ihr der oberösterreichische LK-Präsident Reisecker öffentlich und wies auf Notfallzulassungen im Biobereich hin. Sarah Wiener entgegnet dem LK-Präsidenten in einem offenen Brief.
Sehr geehrter Herr Präsident! Wien, am 12. April 2019
Es freut mich, dass Sie meine Bedenken bezüglich der Bienengifte Neonicotinoide dazu veranlasst haben, öffentlich zu reagieren und mich dazu aufzufordern, „mich bei Vertretern der Biolandwirtschaft sachkundig zu machen“. Selbstverständlich habe ich das – schon vor Ihrer Aufforderung – getan.
Vorneweg möchte ich ausdrücklich darauf hinweisen, dass ich natürlich nicht prinzipiell gegen jede Art von Notfallzulassung bin. Dennoch muss ich zu Ihren Ausführungen zum Thema Notfallzulassungen im Biobereich Stellung beziehen. Sie bedürfen einiger Klar- bzw. Richtigstellung.
Notfallzulassungen für die Biolandwirtschaft gibt es nur für Wirkstoffe auf naturstofflicher Basis – es geht also nicht um chemisch-synthetische Mittel und schon gar nicht um Stoffe, die vergleichbar sind mit den Bienengiften Neonicotinoiden. Das kann auch so etwas wie z.B. Rapsöl oder Schaffett sein. Von allen in der Landwirtschaft insgesamt erlaubten Wirkstoffen darf nur ein Zwanzigstel (!) überhaupt in der Biolandwirtschaft verwendet werden. Und es gibt diese Notfallzulassungen selbstverständlich nicht für neue Mittel, sondern nur für Wirkstoffe, die im Biolandbau ohnehin schon erlaubt sind – mit der Notfallzulassung wird lediglich ihr Anwendungsbereich erweitert.
Weiters – aber das wissen Sie als LK-Präsident, der in seinem Bundesland fast 20% Biobäuerinnen und -bauern vertritt, sicherlich – haben wir im Biobereich ein Problem mit dem EU-Zulassungssystem. Das gesamte Zulassungsverfahren ist auf die konventionelle Landwirtschaft und auf chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel zugeschnitten. Das bedeutet, die Zulassung von Schaffett ist ähnlich aufwändig wie die Prüfung von Glyphosat! Damit ist wohl verständlich, dass diese Verfahren für die wenigen, in Bio eingesetzten Wirkstoffe schlichtweg zu kompliziert und damit zu teuer sind. Deswegen sind die Mittel meist nur für einen schmalen Wirkungsbereich zugelassen und es müssen auf nationaler Ebene sogenannte „Notfallzulassungen“ erfolgen. Die „Notfallzulassung“ im Bio-Bereich ist also in erster Linie ein Symptom für ein nicht adäquates Zulassungssystem.
Nun aber zum wirklich wichtigen Thema – nämlich der Tatsache, dass in Österreich nun wieder Bienengifte erlaubt sind, die auf EU-Ebene und zum Beispiel in unserem Nachbarland Deutschland verboten sind. Ministerin Elisabeth Köstinger hat am 15. April in einer Aussendung festgehalten: „Die Österreicherinnen und Österreicher wollen österreichischen Zucker und keinen mit Neonikotinoiden behandelten Zucker aus dem Ausland. [..] Wir wollen Zucker ohne Neonikotinoide, dann müssen wir auch den Import von Rohrzucker und Zuckerrüben aus Drittstaaten in die EU stoppen bzw. eindämmen.“
Wenn ich die Ministerin richtig verstehe, hat sie in dieser Aussendung den Neonicotinoiden eine Absage erteilt. Umso unverständlicher ist es mir, dass Österreich nun, anders als viele andere EU-Staaten, Notfallzulassungen erteilt hat. Die Österreicherinnen und Österreicher müssen nun also wieder Zucker konsumieren, dessen Erzeugung die Bienen und andere Bestäuber bedroht? Oder sollen wir ihnen empfehlen, lieber Zucker aus anderen EU-Staaten zu kaufen, wo die Neonicotinoide, so wie auf EU-Ebene beschlossen, verboten sind?
Ich bin davon überzeugt, dass die Rübenbauern und -bäuerinnen in Österreich in der Lage sind, Zuckerrüben zu produzieren, ohne ihr Saatgut mit Neonics zu beizen. Die EFSA, als oberste Lebensmittelsicherheitsbehörde, hat aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse entschieden, dass diese 3 Neonicotinoide im Freiland verboten werden müssen, weil sie unsere Bienen bedrohen. Es ist unter anderem Ihre Aufgabe, Herr Präsident Reisecker, dafür zu sorgen, dass die Bäuerinnen und Bauern rechtzeitig und umfassend über neueste wissenschaftliche Erkenntnisse und darauf basierende politische Entscheidungen informiert werden. Und man kann wohl von den Landwirtschaftskammern erwarten, dass sie die Bäuerinnen und Bauern beraten und unterstützen, wenn es gilt, sich an geänderte Rahmenbedingungen anzupassen. Niemand will, dass Bäuerinnen und Bauern im Regen stehen gelassen werden, schon gar nicht wir Grüne! Aber es kann nicht sein, dass die Interessenvertretung das Geschäft der Chemieindustrie besorgt und dazu beiträgt, die Grundlage unseres Lebens zu zerstören.
Lieber Herr Präsident, es geht um die Grundlage unsere Lebens, um „Mittel zu leben“, also unsere gesunden vielfältigen Lebensmittel und um eine nachhaltige Landwirtschaft, damit künftige Bauerngenerationen auch noch von und auf humusreichen unvergifteten Böden leben und wirtschaften können. Die UN-Landwirtschaftsorganisation, der Weltbiodiversitätsrat und unzählige Studien warnen eindringlich davor, dass das Artensterben die Welternährung in „enorme Gefahr“ bringe. Die Bienen und andere Bestäuber, aber auch die Wasserorganismen und das Bodenleben und nicht zuletzt die Vögel, die alle durch den Einsatz von Neonics in Mitleidenschaft gezogen werden, sind wesentlich für unsere Ökosysteme und damit unsere Zukunft. Ich bin mir sicher, dass Ihnen, genau wie auch den Zuckerrübenbauern und -bäuerinnen diese Verantwortung bewusst ist. Wir alle müssen dafür sorgen, dass wir unseren Kindern und Enkelkindern einen lebenswerten Planeten übergeben.
Ich stehe gerne für Gespräche bereit, wie wir zusammen eine zukunftsfähige nachhaltige und von global agierenden Großkonzernen unabhängige und regionale Landwirtschaft hinbekommen können und was es dazu braucht.
Ihre Sarah Wiener
Die Grünen
Gabi Zornig
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