TIROLER TAGESZEITUNG, Leitartikel: „Heiße Wochen vor und nach der Wahl“, von Alois Vahrner

Ausgabe vom Samstag, 31. August 2019

Innsbruck (OTS) – Wahlkampf ist ja seit dem Ibiza-Skandal-bedingten Platzen der türkis-blauen Koalition, vier Wochen vor der Wahl beginnt aber endgültig die heiße Phase. Die Ausgangsposition ist klar, offen ist einiges, vor allem die Koalitionsfrage.

Vier Wochen Intensiv-Wahlkampf mit einer Unzahl an TV-Duellen (ein echter Höhepunkt ist kommenden Donnerstag die via tt.com übertragene Elefantenrunde der Bundesländer-Zeitungen) stehen Österreich ins Haus. 29 Tage, in denen die Parteien den Wählerinnen und Wählern hoffentlich möglichst viele Inhalte zu Zukunftsfragen wie Wohlstand, Sicherheit oder Klimaschutz statt abstoßender Schmutzkübelkampagnen bieten werden.
Seit dem abrupten Aus von Türkis-Blau hat sich die Stimmungslage in der Bevölkerung in den letzten Monaten kaum geändert: Auch in den jüngsten Umfragen liegt die Kurz-ÖVP mit etwa 35 bis 36 Prozent unverändert ganz klar auf Platz eins und auch deutlich über dem Wahlergebnis vor zwei Jahren. Die SPÖ, die Platz eins als Wahlziel ausgegeben hat, liegt je nach Umfrage im Bereich von nur 20 bis 23 Prozent. Sie liegt nicht nur weit hinter der Volkspartei, sondern muss viel eher mit der bei etwa 20 Prozent liegenden FPÖ um Platz zwei rittern. Die Grünen (derzeit elf Prozent) sollten sehr souverän den Parlaments-Wiedereinzug schaffen. Die NEOS liegen bei acht Prozent, während die Liste Jetzt laut allen Umfragen an der 4-Prozent-Hürde scheitern würde.
Platz eins am 29. September scheint für die ÖVP laut allen Experten praktisch einzementiert. Nach momentanem Stand wäre wohl auch keine Koalitionsvariante ohne Türkis möglich. Zudem zeigen sich mit SPÖ, FPÖ, Grünen und NEOS gleich alle vier möglichen Partner zu einer Koalition mit Kurz bereit. Noch vor wenigen Wochen hatten SPÖ und FPÖ den Kanzler abgewählt. Nun werben die Blauen, nachdem beim Bruch noch heftig Schmutzwäsche ­gewaschen wurde, fast schon peinlich intensiv um eine Regierungs-Neuauflage. Und auch die SPÖ scheint zusehends alte Animositäten gegen Kurz zu verdrängen und sich mit einer Juniorpartner-Rolle anzufreunden.
Wohin Kurz tendiert, wird er vor der Wahl trotz aller Nachfragen kaum sagen. Inhaltlich wäre eine Einigung mit der FPÖ (der alte Koalitionspakt war bei Weitem nicht abgearbeitet) zwar mit Abstand am leichtesten, nach all den Vorkommnissen, den unappetitlichen rechten „Einzelfällen“ und dem Problemfall Kickl, den er nicht mehr in einer Regierung will, hätte Kurz aber extremen Erklärungsbedarf. Mit der SPÖ droht die alte Leier von Streit, Missgunst und Blockaden. Und eine Dreierehe mit Grünen und NEOS wäre tatsächlich mutig, aber für alle Beteiligten ein heißer Spagat.
Prognostizierte Wahlsieger haben aber meist ein Problem: die Mobilisierung ihrer Wähler. Und das wird Kurz in den nächsten Wochen wohl noch deutlich mehr beschäftigen.

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