TIROLER TAGESZEITUNG, Leitartikel: “Ausgenommen wie die Weihnachtsgänse”, von Peter Nindler

Ausgabe vom Donnerstag, 12. September 2019

Innsbruck (OTS) – Ob Familien oder Studenten: Wohnungssuchende werden in Tirol mit einem Wohnungsmarkt konfrontiert, der von Speku-lation dominiert wird. Die schwarz-grüne Landesregierung ist ambitioniert, doch sie agiert zahnlos. Wie die Bürgermeister.

Interessentenmodell, Vorbehaltsflächen für den sozialen Wohnbau, Zweit- und Freizeitwohnsitzklausel, Rückwidmungen oder Vertragsraumordnung, um zu günstigen Grundstücken zu kommen: Wer soll das alles noch verstehen, obwohl das eigentlich leicht von der Politik zu übersetzen wäre. Es geht einfach darum, Wohnen in Tirol leistbar zu machen. Doch die Politik scheitert mit all ihren Vorschlägen an den mannigfachen Interessen der Grundstücksbesitzer, Immobilien- und Bodenspekulanten. Und die Bürgermeister haben zu wenig Mut, mit einer restriktiven Boden-und Widmungspolitik zumindest preisdämpfend einzugreifen.
Nicht einmal in der Stadt Innsbruck gelingt es dem grünen Bürgermeister Georg Willi, seit Jahren ungenützte Baulandflächen zu mobilisieren. Weil ihn, wie so oft, beim ersten schwarzen Gegenwind die Entschlossenheit verlässt. Zugleich explodieren die Mieten, mit Immobilien wird mehr denn je gepokert, Familien bleiben beim Wohnen auf der Strecke und Studierende werden in der selbst ernannten Studentenstadt Innsbruck ausgenommen wie die Weihnachtsgänse. Bravo, Stadtpolitik!
Andererseits sollte auch die schwarz-grüne Landesregierung wissen:
Egal, welches Modell sie schlussendlich beschließt, ohne die Mithilfe der Bürgermeister wird es nicht funktionieren. Aber solange sich die Ortschefs hinter ihrer vermeintlichen Machtlosigkeit verstecken, werden in ihren Gemeinden mehr Anlegerwohnungen und Luxus-Apartments errichtet als finanzierbare Wohnungen für Einheimische und Familien. Das jetzt angedachte Zweitwohnsitzverbot wirkt nur dann, wenn die Kontrolle ebenfalls ernst genommen wird. Da kommen allerdings berechtigte Zweifel auf, ansonsten müsste es bei den geschätzten 10.000 illegalen Freizeitwohnsitzen schon längst eine Anzeigenflut geben.
Landeshauptmann Günther Platter (VP) verspricht seit Jahren leistbares Wohnen in Tirol. Deshalb wäre es wünschenswert, wenn Platter nicht nur den bayerischen Löwen in der Verkehrspolitik zähmt, sondern genauso die eigene ÖVP-Klientel beim Wohnen. Vielleicht sollten die Bürgermeister schlicht von der Last der Widmungshoheit und der Bodenpolitik befreit werden. Oder, obwohl das natürlich einen gewissen Verwaltungsaufwand bedeuten würde, im Land wieder ein Kontrollorgan installieren, wie es seinerzeit der Landesgrundverkehrsreferent war. Ohne Aufsicht ist jedes Modell, auch ein Zweitwohnsitzverbot in den Tiroler Spekulationshochburgen, zahnlos. Um nicht zu sagen, ein frommer Wunsch ans Christkind.

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