Tiroler Tageszeitung, Leitartikel, Ausgabe vom 16. April 2020. Von KARIN LEITNER. „(Keine) Reparaturarbeitsverweigerung“.

Innsbruck (OTS) – Binnen kurzer Zeit hat es viele Corona-Gesetze und -Verordnungen gegeben. Dass manche mangelhaft sind,
ist ob der Umstände nicht verwerflich. Tadelnswert ist, wenn man die Fehler nicht korrigieren will.

Viel Selbstlob gibt es bei den vielen Pressekonferenzen der Bundesregierung – was das Handling der Corona-Krise anlangt. Ja, die türkis-grünen Koalitionäre haben bis dato das Richtige getan, wie sich an der Entwicklung der Infiziertenzahl zeigt. Früher als in anderen Ländern ist agiert worden, auch legistisch. Fachleute verweisen nun allerdings darauf, dass manche Gesetze und Verordnungen der Verfassung zuwiderlaufen könnten. Es gibt bereits etliche dahingehende Klagen beim Höchstgericht. ÖVP-Kanzler Sebastian Kurz begründet mögliche Mängel damit, „dass wir schnell gehandelt haben“. Dass bei der Fülle an Neuerungen in kurzer Zeit Fehler gemacht werden, ist weder verwunderlich noch tadelnswert. Selbst die Präsidentin der Richtervereinigung, Sabine Matejka, sagt, dass das „nachvollziehbar“ sei. Zu kritisieren ist aber ein weiterer Befund des Regierungs­chefs. Jener, dass er die Fehler nicht korrigieren lassen wolle – weil ja nicht dauerhaft gelten werde, was festgeschrieben worden sei. Juristen sollten von Spitzfindigkeiten lassen.
Eine problematische Ansicht eines hochrangigen Politikers, der auf die Verfassung vereidigt worden ist. Auch ein Kanzler steht nicht über dieser. Rechtskonform hat sich jeder Bürger zu verhalten. Unter außergewöhnlichen Umständen treten die Regeln nicht außer Kraft. Grünen-Gesundheitsminister Rudolf Anschober reagiert in dieser Causa anders als Kurz. So, wie es ein politisch Verantwortlicher tun sollte. Er hat Experten, darunter der Ex-Interimsjustizminister Clemens Jabloner, gebeten, Gesetze, Verordnungen und Erlässe zu begutachten, auch zu schauen, was missverständlich ist. Sollte sich herausstellen, dass es etwas zu bereinigen gibt, werde das „selbstverständlich“ bereinigt.
Nicht das erste Mal ist von Anschober Derartiges zu hören. Der „Oster-Erlass“ aus seinem Hause hatte verwirrt und irritiert. Anschober stand nicht an, sich dafür zu entschuldigen. Ein „Mea culpa“ kam via Twitter von ihm. „Kritik verstanden“, schrieb er. Der Erlass war passé.
Von keinem Menschen wird Unfehlbarkeit erwartet, erst recht nicht unter erschwerten Bedingungen. Und so sollte auch jeder Politiker die Größe haben, einzugestehen, wenn etwas nicht auf Punkt und Beistrich in Ordnung ist – und zusagen, es in Ordnung zu bringen.
Sachliche Einwände von berufener Seite sind keine Majestätsbeleidigung. Sie sind ernst zu nehmen – auch wenn sie nicht gefallen.

Tiroler Tageszeitung
0512 5354 5101
chefredaktion@tt.com

OTS-ORIGINALTEXT PRESSEAUSSENDUNG UNTER AUSSCHLIESSLICHER INHALTLICHER VERANTWORTUNG DES AUSSENDERS. www.ots.at
© Copyright APA-OTS Originaltext-Service GmbH und der jeweilige Aussender