Tiroler Tageszeitung, Leitartikel, Ausgabe vom 1. März 2021. Von MANFRED MITTERWACHAUER. “In die Pflicht genommen”.

Innsbruck (OTS) – In Zeiten raren Impfstoff-Nachschubs ist die Impfbereitschaft eine hohe. Doch was, wenn jeder seine Chance auf den „Gamechanger“-Stich erhält? Die Debatte um einen Impfpass ist nett – jene über eine Impfpflicht wäre dringender.

Heute ist es wieder einmal so weit. Ein neuer Tag der Entscheidung steht an. Der gefühlt x-te, den die türkis-grüne Regierung ausgerufen hat. Seit Beginn der Pandemie kommen wir aus dieser ermüdenden, frustrierenden und auf Dauer für den allgemeinen gesellschaftspolitischen Zusammenhalt gefährlichen Dauerschleife aus Verschärfungen und Lockerungen im öffentlichen Alltags-Lockdown nicht mehr heraus. Den Schlüssel hierzu wähnt die Regierung mit dem „Gamechanger“ Corona-Impfungen in der Hand zu haben. Und doch scheut sie eine ehrliche Debatte über eine Impfpflicht wie der Teufel das Weihwasser. Das Fundament der Freiwilligkeit wird jedoch nicht ausreichen, um in der bis dato auf der Stelle tretenden Virusbekämpfung den Reset-Knopf drücken zu können.
Ein Impfpass nach israelischem Vorbild soll nun den Brückenbauer in jene Zeit bilden, in der Österreich schließlich genügend Impfstoff vorrätig hat, um endlich in die Fläche piksen zu können. Mitglieder des so genannten 3-G-Clubs, also der Geimpften, Genesenen und Getesteten, sollen bis dahin (je nach Fall womöglich auch mit einer zeitlichen Begrenzung) wieder einen größeren Handlungsspielraum im Alltag bekommen. Das ist weniger eine Privilegienfrage als vielmehr eine von Grundrechten.
Der Impfpass würde aber noch mehr bringen: nämlich eine Impfpflicht durch die Hintertüre. Ausgerechnet jene, die unser aller Leben und Wirtschaften in den vergangenen zwölf Monaten mit teils verfassungswidrigen Verordnungen eingeschränkt und auf den Kopf gestellt haben, verweigern aber auch nur den Ansatz einer Diskussion über eine allgemeine Corona-Impfpflicht. Erspart wird sie der Politik trotzdem nicht bleiben.
Denn je mehr Impfstoff Österreich in den kommenden Monaten vorrätig haben wird, desto schneller wird die Frage beantwortet sein, wie es denn nun wirklich mit der Impfbereitschaft im Lande bestellt ist. Und ob das Modell der Freiwilligkeit ausreicht, dem Virus beizukommen. Ja, auch diese Diskussion wird eine schmerzhafte sein. Weil eine Impfpflicht ebenso in Grundrechte eingreifen würde. Umso mehr, da eine dritte Welle bereits bei einzelnen Ländern anzuklopfen scheint, ist es deshalb höchst an der Zeit, die allgemeine Impfpflicht zu thematisieren, zu diskutieren und letztlich auch zu beschließen. Auch aus dem Grund, da Corona-Impfungen künftig wohl jährlich aufzufrischen sein könnten.
Wir alle wollen und fordern zu Recht die Rückkehr zur Freiheit, wie wir sie vor Coron­a kannten. Der Weg dorthin wird uns aber auch alle in die Pflicht nehmen müssen.

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