Polemische Kunstkritik über Andreas Gabalier zulässig

Wien (OTS) – Der Senat 1 des Presserats beschäftigte sich mit dem Artikel „Gabalier: Weihnachten auf der HNO-Ambulanz“, erschienen am 05.12.2020 auf „kurier.at“. Nach Meinung des Senats ist die harsche und teils polemische Kritik an dem Sänger medienethisch zulässig.

Im Artikel wird ein Fernsehauftritt von Andreas Gabalier in der ORF-Sendung „Winter in Österreich“ kommentiert. Nach Meinung des Autors höre sich Gabaliers Performance weniger nach Musik an als nach einem Fall für die HNO-Ambulanz. So singe Gabalier nicht, sondern raunze, schluchze und hauche um die Töne herum „wie ein neugieriges Kind ums Weihnachtspackerl“. Sechs Backgroundsängerinnen seien dazu im Takt geschwankt und hätten dreingeschaut, als ob sie Verstopfung hätten, so der Autor. Nach Meinung des Lesers handle es sich beim Beitrag um keine sachliche Kritik einer Unterhaltungssendung. Die Aussagen des Autors seien vielmehr grob beleidigend.

Nach Auffassung des Senats handelt es sich beim vorliegenden Beitrag um eine Kunstkritik. Kunst- und Kulturkritiken sind Meinungsäußerungen, die auf persönliche Eindrücke der Autorinnen und Autoren zurückgehen. Im Rahmen einer Kunstkritik werden künstlerische Darbietungen subjektiv bewertet. Nach der Entscheidungspraxis des Presserats ist die Meinungsfreiheit bei Kritiken, die von den eigenen Empfindungen und Wertungen der Journalistin oder des Journalisten geprägt sind, weit auszulegen.

Im Rahmen einer Kunstkritik darf ein Autor auch solche Meinungen über einen Sänger vertreten, die nicht alle teilen oder die sogar schockieren. Der Autor setzt die polemischen Formulierungen zu den Darbietungen Gabaliers vor allem in Bezug zu den Originalversionen der Lieder. Die scharfe negative Kritik ist daher nicht vollkommen unsachlich angelegt. Außerdem greift der Autor an manchen Stellen auch auf satirische Ausdrücke zurück (siehe etwa die Einleitung zur Werbung der Skistars vor der Sendung sowie die Zwischenüberschriften „Raunzing home for Christmas“ oder „Wham! Im Feuerwehrzelt“).

Darüber hinaus hält der Senat fest, dass es sich bei Andreas Gabalier um einen Sänger handelt, der über einen hohen Bekanntheitsgrad verfügt und am öffentlichen Leben teilnimmt. Er genießt daher grundsätzlich weniger Persönlichkeitsschutz als eine Privatperson. Zudem ist Gabalier selbst dafür bekannt, bei seinen öffentlichen Auftritten auch polarisierende oder ruppige Formulierungen zu verwenden. Nach Ansicht des Senats spricht auch dieser Aspekt dafür, dass er ein höheres Maß an Toleranz gegenüber einer auch scharfen Kritik aufbringen muss.

SELBSTÄNDIGES VERFAHREN AUFGRUND EINER MITTEILUNG EINES LESERS

Der Presserat ist ein Verein, der sich für verantwortungsvollen Journalismus einsetzt und dem die wichtigsten Journalisten- und Verlegerverbände Österreichs angehören. Die Mitglieder der drei Senate des Presserats sind weisungsfrei und unabhängig. Im vorliegenden Fall wurde der Senat 1 aufgrund einer Mitteilung eines Lesers tätig und teilt seinen medienethischen Standpunkt. Die Medieninhaberin von „kurier.at“ hat die Schiedsgerichtsbarkeit des Presserats anerkannt.

Tessa Prager, Sprecherin des Senats 1, Tel.: +43-1 – 2369984-11

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