TIROLER TAGESZEITUNG, Leitartikel: “Selbst verschuldetes Umfrage-Tief”, von Alois Vahrner

Ausgabe vom Samstag, 19. Juni 2021

Innsbruck (OTS) – In der Koalition knirscht es weiter, ÖVP und Grüne hätten bei einer Neuwahl laut Umfragen auch längst ihre Mehrheit verloren. Aber auch der Bundespräsident hatte schon deutlich höhere Zustimmungs-Werte.

Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen, lautet ein beliebtes Bonmot, von dem Experten jeglicher Art ein Lied singen könnten, beispielsweise Wirtschaftsforscher. Bei Meinungsumfragen verhält es sich ein wenig anders: Die politische Deutung hängt meist vom eigenen Abschneiden ab: Sind die Werte schlecht, wird meist von „Momentaufnahmen“ gesprochen. Und davon, dass man ja einzig das Ziel habe, Wahlen zu gewinnen und nicht Umfragen.
Zuletzt zeigten allerdings gleich mehrere veröffentlichte Umfragen verschiedener Institute das, was viele Bürgerinnen und Bürger wohl ohnehin so vermutet hatten: ÖVP und Grüne setzen ihren Abwärtstrend fort und hätten ihre Regierungs-Mehrheit mittlerweile klar verloren. Die ÖVP liegt laut den Umfragen bei 29 bis 35 Prozent – und trotz der großen Spanne jedenfalls deutlich unter dem Wahlergebnis von 37,5 Prozent. Die Grünen als Junior-Partner fielen auf 10 bis 13 Prozent (bei der Wahl noch knapp 14 Prozent). Zu Beginn der Corona-Pandemie letztes Frühjahr kratzte die ÖVP gar an der absoluten Mehrheit und die Grünen an den 20 Prozent.
Die lange stark schwächelnde SPÖ holte zuletzt auf und liegt bei momentan 23 bis 28 Prozent. Ein echtes Rennen um Platz 1 gibt es zumindest noch nicht, die Roten sind im Rückspiegel der Türkisen aber immer näher zu sehen. Die bis zuletzt in einen internen Machtkampf verstrickte FPÖ hat seit der Wahl mit Werten von 16 bis 18 Prozent kaum zugelegt. Ob der harte Oppositions-Kurs von Neo-Parteichef Herbert Kickl, der vorzugswei­se mit dem Bihänder statt dem Florett agiert, mehr Erfolg haben wird, muss sich weisen.
Die Schwäche von Türkis-Grün hat freilich bisher weniger mit neu gewonnener Oppositions-Stärke zu tun als mit hausgemachten Turbulenzen – neben der sukzessive gesunkenen Zustimmung zum Corona-Kurs vor allem auch mit diversen ÖVP-Affären und den für viele unverständlichen türkisen Angriffen auf die Justiz. Trotz der immer unverhohleneren Kritik an der Kanzlerpartei verlieren auch die Grünen – weil vielen Anhängern die dann doch immer wieder geübte Koalitions-Räson gegen den Strich geht.
Laut einer Umfrage des Instituts für Demoskopie und Datenanalyse für Puls 24 ist selbst der gerade nach dem Ibiza-Skandal in unangreifbaren höheren Sphären schwebende Bundespräsident ein indirektes Opfer der ÖVP-Diskussionen. Nur 45 Prozent wären demnach für eine Wiederkandidatur 2022 von Alexander Van der Bellen und 43 Prozent dagegen (12 Prozent machten keine Angabe). Auch der Präsident agierte zuletzt offenbar vielen zu halbherzig.

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