
TIROLER TAGESZEITUNG „Leitartikel“ Montag, 27. Dezember 2021, von Manfred Mitterwachauer: „Brenner, neu gedacht“
Innsbruck (OTS) – Die Tiroler Anti-Transit-Politik steht 2022 ob ihrer künftigen Ausrichtung auf dem Prüfstand. Einerseits droht die Reform der Eurovignette, andererseits lockt Brüssel mit Verhandlungssignalen. Noch fehlt den hiesigen Akteuren die nötige Strategie.
Die Tiroler Transitpolitik wird nach Jahren des politischen Auf-der-Stelle-Tretens 2022 an einer Wegscheide ankommen. Die Frage ist nur, welche Richtung sie letztlich nimmt.
Dass Österreich und Tirol auf den letzten Metern das am 13. Jänner im Verkehrsausschuss des EU-Parlaments zur Abstimmung anstehende Verhandlungspaket zur Eurovignette substanziell ändern oder gar kippen werden, ist unwahrscheinlich. Was für die EU als Gesamtes eine Verkehrs-Ökologisierung darstellt, birgt für Tirol die Gefahr einer (noch) billigeren Brennerroute. Das Ziel der schwarz-grünen Koalition, den Schwerverkehr am Brenner auf eine Million Fahrten im Jahr zu begrenzen – unerreichbar.
Gleichzeitig ist Tirol in Ursula von der Leyen fast schon so etwas wie eine Mitstreiterin erwachsen. Ohne großes Aufsehen lässt die EU-Kommissionspräsidentin seit geraumer Zeit Verbände, Institutionen und Organisationen, deren Rufe nach einem Einschreiten der Kommission gegen die Tiroler Lkw-Fahrverbote sowie Blockabfertigungen wieder lauter wurden, in Brüssel ins Leere laufen. Parallel dazu mahnt von der Leyen öffentlich Verhandlungen über eine nachhaltige, die Bevölkerung entlang des Brennerkorridors entlastende Lösung ein. An einem trilateralen Treffen zwischen den Streithähnen Italien, Österreich und Deutschland wird gebastelt.
Doch mit welcher Strategie werden Tirol und Österreich in derartige Verhandlungen gehen? Wie will man die Eurovignetten-Folgen abfedern? Bis dato unbeantwortete Fragen. Klar ist: Die IG-Luft-basierten Fahrverbote in Tirol haben ein Ablaufdatum. Dann, wenn die Luft anhaltend besser wird. Eine Frage von Jahren, nicht mehr Jahrzehnten, ist zu befürchten. Siehe das Ende des IG-L-100ers im Oberland. Das Lkw-Nachtfahrverbot muss gesetzt bleiben – weil auch eine Frage des Lärms. Strategisch schlau wäre es, den Deutschen und Italienern proaktiv ein Angebot zu machen, das schlicht nicht abzulehnen ist. Weil mit dem Sanktus der EU-Spitze versehen. Eine stärkere Verlagerung des Verkehrs auf die Schiene wird (abseits der BBT-Versprechen) darin enthalten sein müssen. Das Ende der – EU-rechtlich akzeptierten – Lkw-Blockabfertigungen wohl auch. Ersetzt werden könnten diese durch ein Slot-System, das die planbare und staulose Durchfahrt am gesamten Brennerkorridor garantiert, den dosierenden Charakter aber beibehält. Ein schwieriger Spagat, aber ein machbarer. Südtirol prüft das.
Der Brenner ist neu zu denken. Ein Slot-System hätte Charme. Auch jenen, sich in Zukunft zu einer echten Alpen-Transit-Börse weiterzuentwickeln.
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