
TIROLER TAGESZEITUNG, Leitartikel: „Vorwärts gegen den Vertrauensverlust“, von Wolfgang Sablatnig
Ausgabe vom Mittwoch, 25. Jänner 2022
Innsbruck (OTS) – Österreich hat im Korruptionsindex von Transparency International Punkte verloren, der nächste U-Ausschuss steht vor der Tür. Als staatstragende Partei müsste die ÖVP die Korruptionsbekämpfung zu ihrem Thema machen.
Karl Nehammer hat es nicht leicht. Als ÖVP-Chef gehört es zum Job, sich schützend vor die Seinen zu stellen. Gleichzeitig schlagen rund um die Türkisen neue Vorwürfe und Chat-Verläufe ein. Mit dem kommenden Untersuchungsausschuss wird es nicht besser für ihn. Auskunftsperson Nummer eins ist Nehammer persönlich. SPÖ, FPÖ und NEOS lassen keinen Zweifel, dass sie der ÖVP ein heißes Frühjahr bescheren wollen. Der aktuelle Korruptionsindex spielt ihnen dabei in die Hände.
Aber sind die Vorwürfe berechtigt? Eine Antwort wird der U-Ausschuss geben. Weitere Antworten werden folgen, wenn die Justiz ihre Ermittlungen gegen Ex-Kanzler Sebastian Kurz und Co. abschließt – in die eine Richtung (Anklage und Verhandlung) oder die andere (Einstellung).
Und warum steht die ÖVP im Mittelpunkt? Die Türkisen selbst sprechen von „Skandalisierung“ und – wie zuletzt Nehammer selbst – „Tribunal“. Sie versuchen, den Kritikern und damit der Kritik selbst die Berechtigung abzusprechen.
Diese Methode ist aber schon im Ibiza-U-Ausschuss gescheitert. Zu eindeutig waren viele Chats vom Smartphone des früheren Staatsholding-Vorstands Thomas Schmid. Zu eindeutig sind auch die Chats von Michael Kloibmüller, der einst im ÖVP-geführten Innenministerium die Fäden zog.
Ja, die Veröffentlichung der Chats wirft Fragen auf. Wer dort vorkommt oder sogar aktiv getextet hat, muss aber damit leben, dass das Vertrauen in der Öffentlichkeit schwer beschädigt ist. Der Teil-Rückzug von Vizepräsidentin Eva Marek am Obersten Gerichtshof war daher ohne Alternative.
Zu viele Fragen hat aber auch die ÖVP selbst aufgeworfen. Man denke nur an die Stückelung der Parteispenden, um die sofortige Veröffentlichung zu umgehen.
Und jetzt? Die ÖVP betont gerne ihre staatstragende Rolle: 35 Jahre Regierungsverantwortung, sechs Landeshauptleute, Hunderte Bürgermeister, noch viel mehr Funktionäre. Die Türkisen könnten dieser Rolle gerecht werden, wenn sie die Transparenz in der Politik zu ihrem Thema machen.
Die Koalition hat dazu eine Reihe von Vorhaben in der Warteschleife:
ein neues Parteiengesetz, die Abschaffung des Amtsgeheimnisses, die Verschärfung des Korruptionsstrafrechts, die Neuordnung der Staatsanwaltschaften, neue Regeln für Regierungsinserate.
Bei all diesen Punkten steht die ÖVP im Ruf der Bremserin. Warum versucht sie es nicht mit einer Vorwärtsstrategie? Sie könnte dem U-Ausschuss viel Schärfe nehmen. Und am Korruptionsindex könnte ein Punktegewinn winken.
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