TIROLER TAGESZEITUNG, Leitartikel: „Corona erspart China viel Kritik“, Ausgabe vom 2. Februar 2022 von Florian Madl.

Innsbruck (OTS) – Der Olympia-Gastgeber führt ein Scheingefecht mit rigiden Corona-Maßnahmen, das jedwede gesellschaftspolitische Diskussion im Keim erstickt. Keine Rede mehr von entrechteten Minderheiten, Naturschutz oder dem Dopingproblem.

Ein PR-Berater hätte dieses Szenario nicht klüger einfädeln können. Und wenn es auch zynisch anmutet und deshalb kein Offizieller laut auszusprechen wagt, so sei es an dieser Stelle der Vollständigkeit halber doch erwähnt:
Corona erspart Olympia-Gastgeber China im Vorfeld der Winterspiele (ab Freitag) allerhand Negativschlagzeilen. Beispiele? Nicht einmal das eng mit dem selbst definierten Sportland verwobene Thema Doping findet in den internationalen Medien entsprechend Platz. Dabei wäre Verdacht durchaus angebracht – China vermeldete 2020 oder 2021 weniger positive Doping- als nunmehr Corona-Tests bei Olympia. Würde man diese Wahrscheinlichkeit der chinesischen Behauptungen auf den Skirennlauf ummünzen, müssten sich die Österreicher bald vor einer kenianischen Alpin-Armada in Acht nehmen.
Oder die Naturschutz-Thematik: Erstmals in der Geschichte Olympischer Spiele kommen die Wettkampfstätten Pekings ohne Naturschnee aus, die Veranstalter dürfen in einer ohnedies niederschlagsarmen Region auf zwei Milliarden Liter Wasser zur Pistenpräparierung zurückgreifen. Dass extra für das Großereignis die Grenzen des Naturschutzgebiets an die jeweiligen Wettkampforte angepasst wurden, um sich jeglicher Kritik an Baumaßnahmen zu entziehen, ergänzt das Bild hinlänglich. Der Aufschrei hielt sich in Grenzen.
Dass sich die Welt je nach wirtschaftlicher Abhängigkeit von China uneins bei den Boykott-Maßnahmen zeigt, findet mittlerweile ebenfalls kaum noch Beachtung. Chinas Freund Nordkorea wurde bereits bis Ende 2022 aus der olympischen Familie ausgeschlossen, die ebenfalls geächteten Russen solidarisieren sich in Person von Staatspräsident Wladimir Putin mit dem Reich der Mitte. Seine Anwesenheit bei der Eröffnungsfeier – ein trotziger Gegenentwurf zum China-Bashing. Der Ukraine-Konflikt beherrscht auf einer Seite die Schlagzeilen, auf der anderen das Leid der Uiguren oder die Situation in Taiwan, Hongkong oder Tibet. Die 243 Olympia-Boykott-Aufrufe von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) blieben nahezu ungehört.
Das Coronavirus dezimiert nicht nur die Zahl der Olympia­starter, wie Skispringerin Sara Marita Kramer schmerzhaft zur Kenntnis nehmen muss. Die Pandemie reduziert auch den medialen Spielraum für gesellschaftspolitische Themen abseits des Sports. Die Olympischen Spiele werden aus Organisatorensicht klaglos verlaufen. Und der Gewinn einer Medaille trübt zudem den Blick auf das Geschehen hinter der Bühne.

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