TIROLER TAGESZEITUNG “Leitartikel”, vom 17. März 2022, von Peter Nindler:”Ein Stück Tirol wird gerissen”

Innsbruck (OTS) – Bei den großen Beutegreifern kann die Politik nichts richtig machen: Sie wird von der EU und zu Recht aufgebrachten Schaf-bauern in die Zange genommen. Am Ende wird es nur Verlierer geben und das Echo von der Höh’ endgültig verstummen.

Geht es um die großen Beutegreifer wie Wolf und Bär, befindet sich besonders der zuletzt mit 97 Prozent wiedergewählte Tiroler Bauernbundobmann und Landeshauptmannstellvertreter Josef Geisler (ÖVP) in einer politischen „Toastlage“. Denn von oben und unten wird es ziemlich heiß – um nicht zu sagen äußerst brenzlig.
Von oben macht Brüssel mit einem angedrohten Vertragsverletzungsverfahren Druck. So nimmt die Europäische Union die letztlich vom Landesverwaltungsgericht aufgehobene Abschussgenehmigung von Problemwölfen ins Visier. Gleichzeitig wird das Land Tirol kritisiert, zu wenig für einen aktiven Schutz der Almherden zu unternehmen. Das kommt nicht überraschend, schließlich hält die Umweltkommission trotz deutlich zunehmender Risse von Nutztieren in den alpinen Regionen – im Vorjahr waren es 378 in Tirol, darunter großteils Schafe – am strengen Schutzstatus von Wolf, Bär und Luchs fest. Der neuerlich von der Arbeitsgemeinschaft der Alpenländer (ARGE Alp) beschlossene Wolf-Maßnahmenplan kratzt deshalb nicht einmal an dem in Stein gemeißelten Grundsatz.
Unten sehen das die Schafbauern ebenso, aber aus einem völlig gegensätzlichen Blickwinkel. Sie fühlen sich von der heimischen Politik einmal mehr im Stich gelassen. Im Wissen, dass unter den gegebenen rechtlichen Rahmenbedingungen wolfsfreie Zonen nicht möglich sind, werden diese von den aufgebrachten Landwirten trotzdem vehement gefordert. Und sie schleudern der Politik mit dem Vorwurf der jahrelangen Untätigkeit auch noch offen den Fehdehandschuh entgegen. Beim Landesbauernrat konnte Bauernbundobmann Josef Geisler die Emotionen wohl noch saisonbedingt einfangen, aber spätestens mit dem ersten gerissenen Schaf wird sich das ändern. Schon jetzt drohen Vertreter der Schafbauern mit einem Austritt aus dem Bauernbund. Geschlossenheit ist die größte Stärke der ÖVP-Bauern, in der Debatte um die Gemeindegutsagrargemeinschaften wankte sie erstmals. Die Gefährdung der traditionellen Almwirtschaft durch Wolf und Bär rüttelt allerdings an den Grundfesten der bäuerlichen Welt. Schließlich steht ein Wirtschafts-, Lebens- und Kulturraum vor der Aufgabe.
Nicht einmal Hunderte Millionen Euro können Herdenschutz in den gebirgigen Almregionen effizient machen. Wer das glaubt, hängt einer romantischen Vorstellung von einer heilen Bergidylle mit dem Echo von der Höh’ nach. Für EU, Grüne und Umweltinitiativen hat Geld offenbar nach wie vor kein Mascherl. Verlieren werden aber auch sie, wenn die Almen verkarsten, Naturräume veröden und die Schafbauern endgültig ein Stück Tirol zusperren.

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