
Tiroler Tageszeitung, Leitartikel, Ausgabe vom 8. April. Von ANITA HEUBACHER. „Verzicht? Lieber nach Katar fliegen“.
Innsbruck (OTS) – Die Corona-Krise hätte Anlass sein sollen, den Glauben an das allein heilbringende Wirtschaftswachstum zu überdenken. Der Ukraine-Krieg zeigt, dass das noch immer kein Thema ist. Der Staat soll es richten. Koste es, was es wolle.
Lange ist es her, da mutete die Politik ihren BürgerInnen noch Entbehrungen zu. Dabei war die Gesellschaft damals weitaus weniger saturiert als heute. In den 1950er- und in den 1970er-Jahren verfügten die Behörden den autofreien Tag, weil das Öl knapp wurde. Als in den 80er-Jahren in Österreich die Grünen gegründet wurden, überbrachten sie viele Jahre den WählerInnen unliebsame Botschaften. Um die Umwelt zu schützen, forderten sie teureres Benzin und ein Ende des Pendlerpauschales, das als Zersiedelungsprämie gesehen wurde. Heute fliegen sowohl die deutschen als auch die österreichischen Grünen, Letztere in Begleitung des türkisen Bundeskanzlers, nach Abu Dhabi und Katar, um um Öl und Gas, Flüssiggas wohlgemerkt, zu betteln. Es ist die Wiederauferstehung des fossilen Zeitalters, mitverhandelt von den Grünen. Gerechtfertigt wird das alles mit dem Ukraine-Krieg. Europa will sich zu Recht lossagen vom russischen Kriegstreiber Putin, in dessen Hände man sich zuvor durch Energieabhängigkeit ausgeliefert hatte. Nun macht man Geschäfte mit den autokratischen Golfstaaten, wo Vergewaltigungsopfer ausgepeitscht und Arbeiter wie Sklaven behandelt werden, um ein Fußballstadion zu bauen.
Der Westen hat seine moralischen Erwägungen immer dem Konsum untergeordnet. So könnte man es sehen. Nichts Neues also. Erschreckend ist jedoch, wie schnell man heutzutage Prinzipien über Bord wirft, ohne eine Sekunde dafür zu kämpfen. Anstatt den BürgerInnen die unliebsame Wahrheit mitzuteilen, dass wir kürzertreten müssen, wird nach Katar geflogen. Erst danach kommt zaghaft das Wort Verzicht in der politischen Debatte vor.
Dann wird die Gießkanne ausgepackt. Anstatt jenen zu helfen, denen die Teuerung wirklich schwer zu schaffen macht, werden wieder möglichst viele WählerInnen alimentiert. Pendlerpauschale rauf, Gutscheine verteilt, Geld spielt seit Corona offenbar überhaupt keine Rolle mehr. Der Staat soll es richten. Die Regierung macht’s, der Opposition ist es zu wenig. Eine Endlosschleife ohne Substanz. Denn ewig wird der Staat die hohen Preise nicht abfedern können.
Wir werden über Verzicht nachdenken müssen und können uns damit beruhigen, dass er auf hohem Niveau stattfinden wird, weil wir in einer Wegwerfgesellschaft leben. Selbst wenn die derzeitige Energiekrise gemeistert werden sollte, sollte Verzicht zum Thema werden. Denn ohne den Verbrauch zu drosseln, ist die Energiewende nicht zu schaffen. Auch wenn wir noch so viele Wind- und Solarparks bauen.
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