
Tiroler Tageszeitung, Kommentar, Ausgabe vom 30. Juni 2022. Von KARIN LEITNER. „Zivilcourage unerwünscht“.
Innsbruck (OTS) – Wer sich gegen die Bagatellisierung von Corona ausspricht, kennt das: In „sozialen“ Netzwerken rücken die Gegner von Maske und Impfung aus, zumeist versteckt hinter Accounts ohne Namen und Bild. Sie beflegeln jene, die nicht befinden, dass das Virus lediglich Schnupfen verursacht.
Eine Ärztin aus Oberösterreich wird seit Monaten nicht nur beschimpft, sie wird bedroht – weil sich die 36-jährige Frau auch abseits der Praxis äußert. „Wir beobachten Sie“, „Ich werde dich hinrichten“, „Ich bin bewaffnet und habe eine Schrotflinte“ – das schreiben ihr Leute anonym; er werde als Patient kommen, lässt „Claas“ wissen. Die Medizinerin, die sagt, schon 100.000 Euro in Schutz für sie und die Mitarbeiter investiert zu haben, reagiert nun darauf: Sie schließt die Ordination.
Weithin Solidarisierung und Beistand wären eigentlich zu erwarten. Die Polizei ermittelt zwar, der Betroffenen wird aber Mitschuld bescheinigt – weil sie sich um des eigenen Fortkommens wegen, wie ihr unterstellt wird, in die Öffentlichkeit gedrängt habe; zu psychischer Hilfe wird ihr geraten.
Einmal mehr die klassische Täter-Opfer-Umkehr. Einmal mehr trifft es eine Frau. Wie bei Gewalt in Beziehungen kommt ein „Hätte sie sich zurückgehalten, wäre nichts passiert“. Und einmal mehr zeigt sich:
Wer beherzt ist, Zivilcourage hat, bekommt Probleme, wer zu feig ist, sich zu deklarieren, darf zumindest verbal unbehelligt wüten.
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