WKW-Janisch: Vorgebliche Erhöhung der Förderung auf 640 Euro zur 24-Stunden-Betreuung ist real eine Kürzung

Experten aus der Betreuungs-Branche verlangen monatliche Erhöhung um 900 Euro um gestellte Aufgaben bewältigen zu können

Die Entscheidung des Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, die Förderung zur 24-Stunden-Betreuung um nur 90 Euro zu erhöhen, verursacht eine Menge sozialpolitischer Probleme und menschliche Tragödien in betroffenen Familien. Das stellt heute Harald G. Janisch, Fachgruppenobmann Personenberatung und Personenbetreuung in der Wirtschaftskammer Wien, fest. Diese Erhöhung deckt nicht einmal den Wertverlust der Förderung seit 2007 ab. Seit damals ist die Förderung mit 550 Euro monatlich gleich hoch.

Folgende Probleme werden, so Janisch, auf Österreichs Sozialsystem zukommen: Die Betreuerinnen werden mangels endlich angepasster, fairer Honorare Österreich zunehmend verlassen. Sie werden in anderen Ländern wie z.B. der Schweiz und Deutschland, in denen sie besser bezahlt werden, arbeiten. Wie bisher betreute Klienten berichten, hat dieser Exodus bereits begonnen. Das heißt aber, warnt Janisch, dass rund 40.000 betreute Menschen und deren hunderttausende Angehörige in Österreich einer ungewissen Zukunft entgegen blicken. Für sie gibt es nämlich zu wenig, in manchen Bereichen gar keine Plätze in Heimen oder stundenweise Heimhilfen. Die Entscheidung des Sozialministeriums ist, so Janisch, umso unverständlicher, da die Betreuung eines Klienten durch die 24-Stunden-Betreuung den Staat weniger kostet als die vielfach teureren Heime. Dazu liegen der Fachgruppe Abrechnungen von bis zu 9.000 Euro im Monat vor. „Mich trifft auch die mangelnde Gesprächsbereitschaft. Seit über einem Jahr liegt im Ministerium ein Konzept für die Weiterentwicklung der 24-Stunden-Betreuung, erstellt von den zuständigen Vertretern aus der Wirtschaftskammer, aus den zuständigen Verbänden und Trägerorganisationen. Doch ein konkretes Gespräch zu diesem Konzept gab es dort mit uns bisher nicht“, hält Janisch fest.

WIR STEHEN AM BEGINN EINER PFLEGEKATASTROPHE

„Wir stehen am Beginn einer Pflegekatastrophe“, sagt der Geschäftsführer der Malteser Care GmbH, Helmut Lutz. Für ihn muss „die 24-Stunden Betreuung für die Menschen wieder leistbar werden! Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, alles dafür zu tun, dass die 24-Stunden Betreuung in Österreich ein fixer Bestandteil der österreichischen Pflegelandschaft bleibt. Es muss nicht nur ihre Finanzierung adäquat angepasst und sichergestellt werden, sondern es müssen ebenso ausreichend qualifizierte Betreuungspersonen in Österreich für die Betreuung von Klientinnen und Klienten zur Verfügung stehen. Das ist eine der ganz wenigen und sehr rasch umzusetzenden Chancen um, wenn überhaupt noch möglich, den bevorstehenden Kollaps des Pflege- und Betreuungssystems in Österreich zu verhindern.“

BETREUTE KLIENTEN MÜSSEN NUN MONATLICH MEHR FÜR ENERGIE ZAHLEN ALS ERHÖHUNG DER FÖRDERUNG AUSMACHT

Evelyn Brezina leidet an der Glasknochenkrankheit und ist daher auf zuverlässige Betreuungspersonen angewiesen. Sie ist empört über die geringe Erhöhung der Förderung: „Ab jetzt können es alle zu Betreuenden selbst am Konto sehen. So sieht die Hilfe der Bundesregierung in der 24-Stunden-Betreuungs-Misere aus: Der Zuschuss zur 24-Stunden-Betreuung wurde von monatlich 550 Euro um nur 90 Euro erhöht. Aber wenn ein Mensch mit meiner Pflegestufe 7 im Pflegeheim betreut wird, bezahlt – von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich – die öffentliche Hand bis zu  9.000 Euro im Monat!“ Brezina fragt, wie sie als Berufsunfähigkeitspensionistin mit Mindestpension und Pflegestufe 7 mit dieser Erhöhung ihren zwei Betreuerinnen mehr Honorar bezahlen können soll, wenn sie nun für Heizung und Strom 130 Euro mehr pro Monat ausgeben muss.

DIE POLITIK DARF EIN GUT EINGESPIELTES SYSTEM NICHT AUSHUNGERN 

Johannes Wallner, Geschäftsführer für den Bereich ÖQZ im Verein zur Förderung der Qualität in der Betreuung älterer Menschen, ist mittels Auftrags seitens des Bundesministeriums für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz für die Zertifizierung der Agenturen nach ÖQZ-24 verantwortlich. Zertifizierte Organisationen von Personenbetreuung, also Vermittlungsagenturen, haben deutlich mehr als die gesetzlichen Vorgaben einzuhalten und sind mit dem Zertifikat „ÖQZ-24“ den Weg in eine entsprechende Qualitätsoffensive und Professionalisierung gegangen.

„Gerade die Einbindung der Fachpflege hat zu einer deutlichen Qualitätsentwicklung und damit zu mehr Sicherheit für alle Beteiligten geführt. Diese positive Entwicklung ist jetzt in Gefahr, wenn die Politik diese wichtige Säule der Betreuung und Pflege in Österreich nicht ausreichend finanziert“, sagt Wallner. Und weiter: „Wir haben im Auftrag des Sozialministeriums ein Fördermodell vorgelegt, das die Umsetzung laut aktuellem Regierungsprogramm ermöglicht. Das geht in zwei Richtungen: faire Honorare für die Betreuerinnen sowie finanzielle Abgeltung der Fachpflege. Beides kann von den Familien nicht mehr gewährleistet werden. Die Politik darf hier ein gut eingespieltes System nicht aushungern!“ 

PERSONENBETREUERINNEN VERMISSEN FAIRNESS DER POLITIK IHNEN GEGENÜBER

„Wir dachten, nachdem jetzt die Familienbeihilfe wieder ungekürzt an die Betreuerinnen aus den osteuropäischen Ländern ausbezahlt wird, wird man mit uns Betreuerinnen in Österreich fair umgehen“, sagt Bibiana Kudziova, Vertreterin der Personenbetreuerinnen in der Wirtschaftskammer Wien. Aber, so Kudziova, mit der minimalen Erhöhung der Förderung zur 24-Stunden-Betreuung hat sich diese Hoffnung wieder einmal zerschlagen.

„Sie leben in der Stadt, am Land, nebenan in der Nachbarwohnung. Man sieht sie meistens nicht. Wenn sie aber nicht mehr kommen, tut das sehr weh“, weiß Kudziova. Sie spricht von den rund 80.000 Betreuerinnen in Österreich, die täglich über 40.000 verschiedene Schicksale in ihren Händen halten und betreuen.

„Das sind die Schicksale jener Menschen, die allein nicht mehr überleben können. Die Betreuerinnen sind immer da, Tag und Nacht, wann immer die Klienten bzw. deren Familien sie brauchen. Was sie leisten, ist leider für die Politik unsichtbar. Dennoch verdienen sie größte Anerkennung der Gesellschaft. Das muss sich auch in der Bezahlung adäquater Honorare zeigen, die aber ohne entsprechende Erhöhung der Förderung nicht möglich sind“, so Kudziova, die Fairness von Seiten der Politik für ihre Kolleginnen verlangt.

FÖRDERUNG ZUR 24-STUNDEN-BETREUUNG WIRD WIEDER NICHT JÄHRLICH UM DIE INFLATION VALORISIERT – ANDERE SOZIALLEISTUNGEN SCHON

„Um für die betreuten Klienten, an die die Förderung ausbezahlt wird, die Teuerung der vergangenen Monate abzufangen und an die Betreuungskräfte faire Honorare bezahlen zu können, sowie die im Regierungsprogramm vorgesehene  Qualitätssicherung zu ermöglichen, ist eine Erhöhung der monatlichen Förderung um 900 Euro unabdingbar,“ verlangt Karin Hamminger, Präsidentin der Österreichischen Bundesinteressensgemeinschaft für Agenturen zur Organisation von Personenbetreuung (ÖBAP).

Hamminger bemängelt an der Erhöhung des Sozialministeriums, dass mit den 90 Euro nicht einmal die Teuerung der täglichen Einkäufe – geschweige die stark gestiegenen Energiekosten – abdeckt werden können. Hamminger: „Von der im Regierungspapier erwähnten Qualitätssicherung bei der Betreuung wird ohnehin nicht mehr gesprochen. Es wäre für die Politik ein Gebot der Stunde, den betroffenen Klienten und Betreuerinnen einen menschlich anständigen Umgang entgegenzubringen. Ohne eine adäquate Erhöhung der Förderung ist auch die Einhaltung des Gesundheits- und Krankenpflegegesetz in Hinblick auf die Tätigkeit von diplomiertem Pflegepersonal in der 24-Stunden-Betreuung nicht mehr möglich.“

Die Präsidentin der ÖBAP weist auch auf einen anderen Kritikpunkt hin: „Es ist ärgerlich, wenn der Eindruck entsteht, als würde die Förderung der 24-Stunden-Betreuung nun jährlich um die Inflation erhöht. Das betrifft tatsächlich einige Sozialleistungen, aber diese Förderung der 24-Stunden-Betreuung ist im entsprechenden Gesetz nicht enthalten. Hier dürfte ein Fehler unterlaufen sein. Anderenfalls muss ich annehmen, dass bewusst mit zweierlei Maß gemessen wird. Und das auf Kosten jener, die sich nicht mehr selbst wehren können. Eine Gleichstellung mit den anderen Sozialleistungen im Gesetz zur jährlichen Inflationsanpassung, könnte diesen Mangel leicht korrigieren.“

AUCH EINKOMMENSGRENZEN, DIE ZUM BEZUG DER FÖRDERUNG BERECHTIGEN, MÜSSEN NACH 15 JAHREN ENDLICH VALORISIERT WERDEN

Auf die seit 15 Jahren niemals angepasste Förderung von 550 Euro pro Monat verweist auch der Jurist, Mario Tasotti, Allg. beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger für die Betriebsorganisation von Vermittlungsagenturen. Dadurch ist diese Förderung massiv entwertet, betont Tasotti. Nur um das gleiche Kaufkraftniveau wie 2007 zu erreichen, müsste die Förderung jetzt auf rund 800 Euro angehoben werden. Die nun erfolgte Erhöhung um 90 Euro auf 640 Euro bedeutet real nach wie vor eine Förderreduktion um 160 Euro!

Und Tasotti verweist auf noch ein sehr wesentliches Detail, das bei der 90 Euro Erhöhung nicht berücksichtigt wurde:

Die Förderung der 24-Stunden-Betreuung ist aktuell auch an eine Einkommensgrenze von 2.500 Euro gebunden, welche seit 2007 ebenfalls nie valorisiert wurde. Durch die laufenden, inflationsbedingten Erhöhungen der Einkommen und Pensionen seit 2007 müsste diese Einkommensgrenze, um sie real auf demselben Niveau zu halten, auf mittlerweile über 3.500 Euro erhöht werden. Daher verlieren betreuungsbedürftige Personen auch die aktuelle Förderung oder können diese nicht in Anspruch nehmen, da ihre Einkommen/Pensionen inflationsbedingt über die Grenze gestiegen sind. Aufgrund der allgemeinen Preissteigerungen ist deren Kaufkraft jedoch nicht gestiegen und sie müssen dennoch die gesamten Kosten der 24-Stunden-Betreuung aus eigener Tasche bezahlen.

FÖRDERUNG MONATLICH UM 900 EURO STATT 90 EURO ERHÖHEN

Tasotti: „Im Regierungsprogramm gibt es ein klar definiertes Ziel: Eine stabile, qualitätsvolle 24-Stunden-Betreuung! Um das und die flächendeckende Ausrollung des ÖQZ24-Qualitätszertifikates erreichen zu können, sowie faire, adäquate Betreuungshonorare bezahlen und die notwendige fachpflegerische Qualitätssicherung gewährleisten zu können, braucht es mehr: Und zwar durchschnittlich 900 Euro im Monat statt 90 Euro! Das entsprechende Fördermodell liegt dem Sozialministerium seit mehr als eineinhalb Jahren vor. Nur so kann das Szenario einer großen Anzahl von unversorgten, betreuungsbedürftigen Menschen vermieden werden. Gleichzeitig ist das für das Sozialsystem noch immer wesentlich günstiger als ein Aufenthalt im Heim.

Mit einer Erhöhung um 900 Euro pro Monat, so fasst Tasotti zusammen, können drei Bereiche abgedeckt werden:

* endlich eine Valorisierung der seit 15 Jahren nie um die Inflation valorisierten Förderung,
* Erhöhung der Honorare für die Betreuerinnen,
* Sicherung der Qualität wie im Regierungsprogramm vorgegeben.

Mag. Martin Kofler
Fachgruppengeschäftsführer
Wirtschaftskammer Wien
Telefon: +43 1 514 50 2204
E-Mail: martin.kofler@wkw.at

OTS-ORIGINALTEXT PRESSEAUSSENDUNG UNTER AUSSCHLIESSLICHER INHALTLICHER VERANTWORTUNG DES AUSSENDERS. www.ots.at
© Copyright APA-OTS Originaltext-Service GmbH und der jeweilige Aussender