Mindestsicherung: Hartinger-Klein stellt Ländern Rute ins Fenster
Auch Rechnungshof drängt weiter auf Harmonisierung der Leistungen
Wien (PK) – Der Rechnungshof drängt weiter auf österreichweit einheitliche Regelungen für die Bedarfsorientierte Mindestsicherung. Der Bund sei im Bereich des „Armenwesens“ für die Grundsatzgesetzgebung zuständig und habe damit die Möglichkeit, gewisse Standards vorzugeben, sagte Rechnungshofpräsidentin Margit Kraker heute im Rechnungshofausschuss des Nationalrats anlässlich der Diskussion über einen Prüfbericht zur Wiener Mindestsicherung. 30% der Empfehlungen des Rechnungshofs wurden laut Peter Stanzl, Vorsitzender der „Taskforce Mindestsicherung“ der Stadt Wien, bereits umgesetzt, der Großteil soll im laufenden Quartal folgen. Die Ausgaben für die Mindestsicherung sind ihm zufolge zuletzt erstmals in der Geschichte wieder gesunken.
Seitens der Regierung stellte Sozialministerin Beate Hartinger-Klein den Ländern die Rute ins Fenster. Sie habe demnächst ein Treffen mit den SozialreferentInnen, gehe aber nicht davon aus, dass sich diese auf eine Harmonisierung der Leistungen einigen werden, sagte sie. „Dann wird es notwendig sein, ein Grundsatzgesetz zu machen.“ Man werde eine verfassungskonforme Lösung finden, ist sie überzeugt. Für notwendig hält Hartinger-Klein auch einen intensiveren Datenaustausch zwischen dem AMS und den für die Mindestsicherung zuständigen Behörden.
Die Bedarfsorientierte Mindestsicherung (BMS) hat 2010 die Sozialhilfe ersetzt. Gesetzgebung und Vollziehung liegen grundsätzlich in der Kompetenz der Länder, der Bund könnte auf Basis seiner verfassungsrechtlichen Kompetenz für die Grundsatzgesetzgebung im Bereich „Armenwesen“ aber einheitliche bzw. harmonisierte Regeln vorgeben. Allerdings ist nicht eindeutig festgelegt, wie detailliert diese sein dürfen. Bisher hat der Bund auf ein derartiges Gesetz verzichtet. Eine ursprünglich geltende Bund-Länder-Vereinbarung mit einheitlichen Standards lief Ende 2016 ersatzlos aus – nicht zuletzt wegen Differenzen zwischen den einzelnen Ländern. Der Bund übernimmt jedoch befristet bis Ende 2018 Kosten für die Gesundheitsversorgung der MindestsicherungsbezieherInnen.
Höhere Ausgaben für Mindestsicherung bei wachsenden Schulden
Wie aus dem Prüfbericht zur Wiener Mindestsicherung hervorgeht, stiegen die Mindestsicherungsausgaben der Stadt Wien im Prüfzeitraum 2011 bis 2015 um 50% von 363,79 Mio. € auf 543,71 Mio. € an. Für 2016 rechnete die Bundeshauptstadt mit rund 665 Mio. €. Bis zu den Jahren 2021 und 2022 könnten die Ausgaben sogar auf bis zu 1,6 Mrd. € bzw. 1,8 Mrd. € anwachsen, was der Rechnungshof angesichts der wachsenden Schulden der Stadt – 2,35 Mrd. € Neuverschuldung zwischen 2011 und 2015 – besonders kritisch sieht.
Mitte 2016 bezogen 151.058 Personen in Wien die Mindestsicherung, zwischen 2010 und 2015 wurde ein Anstieg von 71% verzeichnet. Besonders stark nahm die Zahl der BezieherInnen im arbeitsfähigen Alter von 20 bis 59 Jahren zu. Etwas mehr als die Hälfte der MindestsicherungsbezieherInnen waren aus Österreich, ein Drittel kam aus Ländern außerhalb der EU. Bei Nicht-ÖsterreicherInnen gab es einen 2,5-fachen Anstieg, bei Asyl- und subsidiär Schutzberechtigten erhöhte sich die Anzahl auf mehr als das Dreifache. Die Anzahl der BezieherInnen mit ganzjähriger Unterstützung verdoppelte sich im Berichtszeitraum.
Ein vollunterstützter Erwachsener erhielt in Wien monatlich 837,76 € Mindestsicherung. Der Berechnung des Rechnungshofs zufolge liegt die Leistungshöhe in Wien über der ehemaligen 15a-Vereinbarung, für Alleinstehende um bis zu 103,66 €, für ein nicht erwerbstätiges Paar mit fünf Kindern um bis zu 454,20 €. Außerdem bietet Wien den MindestsicherungsbezieherInnen neben den Leistungen für Lebensunterhalt, Wohnbedarf, Mietbeihilfe und Krankenhilfe einige andere Begünstigungen wie eine ermäßigte Monatskarte bei den Wiener Linien sowie Befreiungen von der Rundfunkgebühr, der Ökostrompauschale und der e-Card-Gebühr. Für Kinder gewährt Wien mit 27% des Ausgangswerts bundesweit die höchsten Mindeststandards. DauerleistungsbezieherInnen, also PensionistInnen oder dauerhaft arbeitsunfähige Personen, erhalten die Leistungen 14mal pro Jahr.
Reform soll Leistungen harmonisieren, Ziele konkretisieren
Im Rahmen einer österreichweit harmonisierten Mindestsicherungsregelung empfiehlt der Rechnungshof unter anderem, auf das Verschlechterungsverbot zu verzichten und einheitliche Ansprüche für den Lebensunterhalt zu verankern. Gleichzeitig sollen gesperrte AMS-Zahlungen als fiktives Einkommen berücksichtigt werden, sodass der Bezugsausfall nicht mehr kompensiert wird. Der Wohnbedarf wäre nur bei tatsächlich nachgewiesenen Wohnkosten zu übernehmen. Außerdem mahnt der Rechnungshof, Leistungen für Nicht-ÖsterreicherInnen mit dem Ende der Aufenthaltsgenehmigung zu befristen.
Als klares Ziel für arbeitsfähige MindestsicherungsbezieherInnen soll laut Rechnungshof die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit definiert werden. Generell seien eine Konkretisierung der Zielvorgaben und die Festlegung messbarer Zielindikatoren nötig. Notstandshilfe und Mindestsicherung sollten in ein gemeinsames Versorgungssystem überführt werden.
Kontrolle der Mindestsicherung in Wien unzureichend
Der Rechnungshof vermisst in Wien aber nicht nur quantifizierbare Messgrößen zur Erhebung der angestrebten Zielerreichung, insbesondere was die Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt und Armutsbekämpfung betrifft. Er hält auch die durchgeführten Kontrollen für unzureichend. Leistungsüberprüfungen seien unvollständig beziehungsweise verspätet erfolgt oder gänzlich unterlassen worden, heißt es im Bericht. Ein internes Kontrollsystem als Grundlage für Anpassung, Rückforderung oder Einstellung der Mindestsicherungsansprüche fehle. So seien bei Stichproben im Zuge interner Kontrollen Akten häufig unauffindbar gewesen, auch habe es weder das Vier-Augen-Prinzip noch eine dokumentierte Problemerfassung gegeben. Zur Überprüfung der Anwesenheit von schul- und kindergartenpflichtigen Kindern mit Mindestsicherungsbezug empfehlen die PrüferInnen darüber hinaus, nicht nur Meldedaten, sondern auch die Aufzeichnungen des Stadtschulrats heranzuziehen.
ÖVP und FPÖ orten Reformbedarf
Der Rechnungshof zeige klar auf, dass es absoluten Reformbedarf bei der Bedarfsorientierten Mindestsicherung gebe, sagte Hermann Gahr (ÖVP) in der Debatte. Man müsse das System optimieren. Oberstes Ziel müsse es sein, Menschen, die Mindestsicherung beziehen, wieder ins Berufsleben einzugliedern. Er plädierte zudem dafür, stärker auf Sachleistungen zu setzen und Vorsorge dafür zu treffen, dass die Mindestsicherung nicht über Arbeitseinkommen liege.
Es gelte Maßnahmen zu setzen, um sicherzustellen, dass Jugendliche nicht direkt von der Schulbank in die Mindestsicherung wechseln, forderte auch Jessi Lintl (FPÖ) Reformen. Seitens der NEOS meinte Ausschussvorsitzende Irmgard Griss, sie habe es nicht glauben können, dass, wenn das AMS Zahlungen streiche, dieser Einnahmenausfall durch eine höhere Mindestsicherung ausgeglichen werde.
Karin Greiner (SPÖ) gab zu bedenken, dass es verschiedene Maßnahmen brauche, um Menschen aus der Mindestsicherung herauszubekommen. Wesentlich seien Bildungs- und Integrationsmaßnahmen. Gerade hier wolle die Regierung die Mittel jedoch kürzen, kritisierte sie. Auch ihr Fraktionskollege Wolfgang Knes sieht die Diskussion in die falsche Richtung laufen. Schließlich sei der überwiegende Teil der MindestsicherungsbezieherInnen Frauen und Kinder. Ausdrücklich hob er hervor, dass der von der Regierung angepeilte Deckel verfassungswidrig sei.
Stadt Wien hat mit zahlreichen Maßnahmen reagiert
Peter Stanzl, stellvertretender Leiter der für Soziales zuständigen Magistratsabteilung 40 der Stadt Wien und Vorsitzender der „Taskforce Mindestsicherung“, wies darauf hin, dass in den vergangenen Monaten in Reaktion auf den Rechnungshofbericht zahlreiche Maßnahmen gesetzt wurden. So habe man ein Berichtswesen aufgestellt, die Kontrollen maßgeblich verbessert und die – hervorragenden – MitarbeiterInnen intensiv geschult. Ab dem Sommer soll es einen wöchentlichen Datenaustausch mit dem AMS geben. Insgesamt habe man mit Stand Februar bereits 30% der Empfehlungen umgesetzt, ein Großteil des Rests sollte im laufenden Quartal abgearbeitet werden können. Den abschließenden Bericht der Taskforce stellte Stanzl für Ende April in Aussicht.
Stanzl verwies überdies auf das neue Wiener Mindestsicherungsgesetz, das seit Februar in Kraft ist. Es sieht unter anderem stärkere Anreize zur Arbeitsaufnahme vor, etwa durch den „Beschäftigungsbonus Plus“. Um Dauerbedürftigkeit zu verhindern, habe man außerdem einen besonderen Fokus auf Jugendliche bis 25 gerichtet. Ausgeschlossen ist nunmehr auch eine Kompensation von AMS-Sperren, ebenso habe man bei den Sanktionen nachgeschärft.
Aktuell schlägt sich auch die gute Konjunktur nieder, wie Stanzl berichtete. So seien die Ausgaben für die Bedarfsorientierte Mindestsicherung im ersten Quartal im Vergleich zum Vorjahr gesunken. Stanzl gab allerdings zu bedenken, dass viele BMS-BezieherInnen über gesundheitliche Einschränkungen oder mangelnde Deutschkenntnisse verfügen und daher schwer am Arbeitsmarkt zu vermitteln sind. Viele BezieherInnen seien in der Aktion 20.000 untergebracht worden, bedauerte er deren nunmehrige Sistierung.
Was die Forcierung von Sachleistungen betrifft, meinte Stanzl, dass sich Wien nicht maßgeblich von den anderen Bundesländern unterscheidet. Er verwies aber darauf, dass Sachleistungen einen großen administrativen Aufwand bedeuten. Sehr bewusst habe man sich gegen eine Deckelung der Mindestsicherung entschieden und sei durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs zum Niederösterreichischen Modell bestätigt worden. Die Zahl der DauerleistungsbezieherInnen, also Personen, die dauerhaft arbeitsunfähig sind bzw. bereits das Pensionsalter erreicht haben, gab er mit rund 11.700 an.
FPÖ-Abgeordneter Wolfgang Zanger hielt Stanzl entgegen, dass auch Projekte zur Integration von MindestsicherungsbezieherInnen in den Arbeitsmarkt steuerfinanziert seien, und stellte gleichzeitig deren Effizienz infrage. Man müsse von „sozialromantischen Gedanken“ wegkommen, urgierte er stärkeren Druck.
Sozialministerin Hartinger-Klein wies Vorwürfe zurück, wonach die Regierung zu wenig Mittel für die Eingliederung von MindestsicherungsbezieherInnen in den Arbeitsmarkt und für Sprachkurse bereitstelle. Es werde viel Geld investiert, auch in die Ausbildung der 18- bis 25-Jährigen, bekräftigte sie.
Rechnungshofpräsidentin Margit Kraker zeigte sich über die intensive Auseinandersetzung der Stadt Wien mit dem Rechnungshofbericht erfreut. In die Novelle zum Wiener Mindestsicherungsgesetz seien aber nicht alle Empfehlungen des Rechnungshofs eingeflossen. So liege die Höhe der Mindestsicherung weiter über dem Standard der ausgelaufenen Bund-Länder-Vereinbarung. Ebenso vermisst sie eine Vereinfachung der Wohnbeihilfe und eine einheitliche Regelung für Wohn- und Lebensgemeinschaften. Ob die Kontrollen verbessert wurden, sei noch zu prüfen. Der Bericht des Rechnungshofs wurde schließlich einstimmig zur Kenntnis genommen. (Fortsetzung Rechnungshofausschuss) gs/rei
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