KDZ/WIFO: Ist der Föderalismus reformierbar?

„Steuerung im österreichischen Föderalismus – Herausforderungen und Optionen“

Wien (OTS) – Bei diesem Symposium diskutierten Expertinnen und
Experten neue Wege der Steuerung für den Bundesstaat. Basierend auf
Analysen zu den Mängeln der föderalen Beziehungen wurden bei der
heutigen Veranstaltung in Wien neue Instrumente und Prozesse der
Steuerung anhand der Beispiele Finanzausgleich und
Regionalentwicklung erörtert. Die Veranstaltung wurde von KDZ –
Zentrum für Verwaltungsforschung und dem Österreichischen Institut
für Wirtschaftsforschung (WIFO) organisiert.

Die Zusammenarbeit im österreichischen Bundesstaat – meist als
„kooperativer Föderalismus“ bezeichnet – ist wegen der zahlreichen
gemeinsamen Aufgaben kompliziert. Das politische Geschehen ist häufig
geprägt durch verschiedene Interessen von Bund, Ländern und
Gemeinden. Gleichzeitig sind sie bei der Leistungserbringung oft
aufeinander angewiesen. Speziell bei Gemeinschaftsaufgaben, wie
Sozialagenden oder Bildung, zeigt sich die Schwierigkeit der
multiplen Verflechtungen: Fallweise herrscht Misstrauen
untereinander, unterschiedliche Interessen führen zu Kompromissen und
werden auf den kleinsten gemeinsamen Nenner geschrumpft, der jedoch
wenig zur Lösung der drängenden, zumeist komplexen Zukunftsfragen
beitragen kann.

Das bestehende föderale System ist reformbedürftig. Tradierte
Prozesse stehen einem gemeinsamen Problemverständnis und der
Entwicklung abgestimmter Ziele entgegen, Zuständigkeiten werden
abgegrenzt, sachliche Interdependenzen vernachlässigt. Es bedarf
daher eines Planungs- und Steuerungssystems in zentralen
Politikfeldern, das alle staatlichen Ebenen und öffentliche Akteure
umfasst und den Nutzen für die Bürgerinnen und Bürger im Blickfeld
hat. „Eine effektive Mehr-Ebenen-Steuerung braucht klare Strategien,
einen effektiven Zielabstimmungsprozess und neue innovative Wege der
Kooperation und Koordination“, so Peter Biwald, Geschäftsführer des
KDZ. Nur wenn es ein gemeinsames Ziel gibt, kann auch ein gemeinsamer
Weg beschritten werden.

Zwtl.: Reformbedarf

Eine Erneuerung des föderalen Systems ist zu entwickeln, die Bund,
Länder und Gemeinden stärker aneinander bindet und auf mehr
Effektivität und Verantwortlichkeit in sinnvoll abgegrenzten
Leistungsbereichen setzt. Darin waren sich die Vertreterinnen und
Vertreter von Bund, Ländern und den Gemeinden sowie Expertinnen und
Experten der Wissenschaft einig. Neben einer neuen Vertrauenskultur
braucht es zusätzliche institutionelle Regelungen sowie vertikale und
horizontale Steuerungsprozesse zwischen allen Gebietskörperschaften
sowie mit anderen Stakeholdern.

Zwtl.: Konstruktive Zusammenarbeit durch Multi-Level-Governance

Ein international viel beachteter strategischer Ansatz ist
Multi-Level-Governance, den Claire Charbit (OECD, Head of Unit
Territorial Dialogues and Migration Centre for Entrepreneurship,
SMEs, Regions and Cities) erläuterte.

Multi-Level-Governance ist ein Ansatz, um Prozesse und Instrumente
zu analysieren sowie schlecht laufende Prozesse zu identifizieren und
aufzulösen. Gefragt seien etwa eine verbesserte Ordnung bei
Trägerschaften (inkl. Finanzierung und Ergebnisverantwortung),
ausgebaute Steuerungsprozesse und der Aufbau einer gegenseitigen
Vertrauenskultur. Es müssen geeignete Abstimmungsgremien geschaffen
werden, welche alle drei Gebietskörperschaftsebenen involvieren. So
betonte Charbit, dass die Komplexität im Bereich von
Gemeinschaftsaufgaben grundsätzlich kein Problem sei, dass
Interaktionen jedoch eine Koordination zwischen den Ebenen erfordern,
um Überschneidungen, Doppelgleisigkeiten, mangelnde finanzielle
Ausstattungen oder und damit verbundene Ineffizienzen zu vermeiden
sowie ein gemeinsames Lösungsverständnis aufzubauen. Dies soll zu
wirksamen öffentlichen Maßnahmen beitragen.

Abstimmungsprobleme zwischen den Akteuren betonte auch Biwald, da
fehlende, nicht abgestimmte Ziele zu einem Reformstau führen. Es gibt
jedoch durchaus vielversprechende Ansätze einer verbesserten
Zusammenarbeit – wie etwa bei der neuen Zielsteuerung im
Gesundheitsbereich zwischen Bund, Ländern und den
Sozialversicherungen. Die Gemeinden wurden jedoch nicht in den
Prozess einbezogen, obwohl sie wesentliche Financiers sind.

Zwtl.: Reformprojekt Finanzausgleich?

Karoline Mitterer, Finanzexpertin im KDZ, zeigte, anhand des
jüngst intendierten aufgabenorientierten Finanzausgleichs, die
Blockade aufgrund der Mängel im bestehenden Steuerungssystem. Eine
Umsetzung scheitere an einem Interessenausgleich der
Verhandlungspartner. „Es war beim Finanzausgleich 2017 nicht möglich,
sich auf die grundsätzliche Zielausrichtung des Reformpaketes zu
einigen. Das kann nur funktionieren, wenn der Zielsteuerungsprozess
auf neue Beine gestellt wird und eine vertrauensvolle Kooperation
zwischen den Akteurinnen und Akteuren entsteht“, meint Mitterer.

Parallel zu einer Finanzausgleichsreform ist jedenfalls eine
Weiterentwicklung des Föderalismus notwendig, wie es etwa die
Schweizer mit ihrer Finanzausgleichs- und Föderalismusreform
vorgezeigt haben. Es muss geklärt sein, wieviel Kooperation sinnvoll
und wieviel Dezentralisierung notwendig ist. Das Entwickeln von
gebietskörperschaftsübergreifenden Zielen bedarf eines moderierten
Prozesses, welcher auf fundierten Entscheidungsgrundlagen basiert.
Schließlich braucht es einen laufenden Abstimmungsprozess zwischen
den Finanzausgleichspartnern, etwa im Rahmen von halbjährlichen
Abstimmungsgremien, in welchen Finanzausgleichsthemen gemeinsam
erörtert werden.

Ein konkreter Aspekt ist auch das Zusammenführen der Aufgaben- und
Finanzierungsverantwortlichkeiten, wie Hans Pitlik (WIFO) erläuterte:
„Subnationale Abgabenautonomie ist nicht nur eine zentrale
Voraussetzung für eine bessere Übereinstimmung von Aufgaben-,
Ausgaben- und Finanzierungsverantwortung. Eine fehlende
Abgabenautonomie erhöht auch die Wahrscheinlichkeit von
Politikblockaden.“ So werden etwa steuerpolitische Entscheidungen
bezüglich der gemeinschaftlichen Bundesabgaben, welche vermeintlich
nur durch den Bund zu treffen sind, komplex. Daher ist neben einer
Aufgabenentflechtung auch eine erweiterte Einnahmenverantwortung der
subnationalen Ebenen geboten.

Zwtl.: Komplexe Regionalentwicklung

Ein weiteres Beispiel für die Notwendigkeit einer verbesserten
Koordination und Kooperation zwischen den Akteuren zeigt sich in
einer nachhaltigen Entwicklung von Regionen. Die Herausforderungen an
eine koordinierte Regionalpolitik sei in den letzten Dekaden deutlich
gestiegen: Die Zahl der Akteure und der Handlungsebenen wurden
ausgeweitet. Markus Gruber, Regionalentwicklungsexperte und Managing
Partner bei Convelop, zeigte, wie mithilfe unterschiedlicher
Steuerungsmodelle darauf reagiert wird und thematisierte die damit
verbundenen Herausforderungen im Mehr-Ebenen-System, insbesondere
hinsichtlich der Aufgabenverteilung.

Die Investitionen der Gemeinden in die lokale Infrastruktur können
im letzten Jahrzehnt zwar Voraussetzung für eine nachhaltige
Regionalentwicklung sein, der Einfluss auf das lokale
Wirtschaftswachstum sei jedoch gering, betonte Michael Getzner (TU
Wien). Am Beispiel der Landes-Regionalförderung sei festzustellen,
dass bereits wirtschaftlich starke Gemeinden aufgrund ihrer
„Absorptionsfähigkeit“ im Rahmen einer erweiterten Handlungskompetenz
eher Förderungen erhielten als wirtschaftlich schwache Gemeinden.
Auch die lokalen Investitionen der Gemeinden seien eher durch die
wirtschaftliche Entwicklung geprägt, als umgekehrt. Koordinierte
Infrastrukturinvestitionen könnten hierbei die Schwächen von
Einzelmaßnahmen vermeiden.

Zwtl.: Im Dilemma gefangen?

Wenn der Bundesstaat zukünftig effizient gesteuert werden soll,
muss aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt werden. Um die
Koordination und Kooperation zu verbessern, kann der
Multi-Level-Governance-Ansatz helfen, den österreichischen
Föderalismus wieder in Schwung zu bringen. Komplexe Probleme
benötigen Problemlösungsprozesse, die bereits in der
Strategieentwicklung und beim konkreten Erarbeiten von Lösungen die
relevanten Stakeholder einbeziehen. Fehlt dieser breite Ansatz,
steigt die Gefahr von schlecht durchdachten Lösungen.

#MulitlevelGov

apl. Prof. Dr. Hans Pitlik
WIFO – Österreichisches Institut für Wirtschaftsforschung
Arsenal, Objekt 20,1030 Wien
hans.pitlik@wifo.ac.at
T: +43 1 798 26 01-240
www.wifo.ac.at

Mag.a Michaela Bareis, MA
KDZ – Zentrum für Verwaltungsforschung
Guglgasse 13, 1110 Wien
bareis@kdz.or.at
T: +43 676 849579-17
www.kdz.or.at

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