Grüne Wien/Offener Brief an Behindertenrat wegen Unterstützung von Anti-Abtreibungs-Initiative

Offener Brief an das Präsidium des Österreichischen Behindertenrats und Behindertenrats-Präsidenten Herbert Pichler

Wien (OTS) – Sehr geehrte Damen und Herren,

mit großer Verwunderung und Bestürzung haben wir die
Presseaussendung vom 9. November 2018 unter dem Titel
„Behindertenrats-Präsident Herbert Pichler unterstützt #fairändern:
„Die große Diskriminierung gehört beseitigt.““
[https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20181109_OTS0007/behinderten
rats-praesident-herbert-pichler-unterstuetzt-fairaendern-die-grosse-d
iskriminierung-gehoert-beseitigt]
(https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20181109_OTS0007/behinderten
rats-praesident-herbert-pichler-unterstuetzt-fairaendern-die-grosse-d
iskriminierung-gehoert-beseitigt) gesehen.

Der Österreichische Behindertenrat vertritt nach eigener Aussage
als Dachorganisation über 80 Mitgliedsorganisationen in Österreich
und ist damit Interessenvertretung für 1,4 Millionen
Österreicherinnen und Österreicher mit Behinderungen. Durch die o.g.
Aussendung entsteht bei uns der Eindruck, der österreichische
Behindertenrat mit seiner beeindruckenden Größe und Vielfalt, stehe
hinter einer Petition, die kurz vor Ablauf von gerade einmal 17.124
Personen unterzeichnet wurde.

Die Inhalte der #fairändern Petition stehen in klarem Widerspruch
zur geltenden Rechtslage der Fristenlösung in Österreich. Es steht
außer Frage, dass medizinische Beratung und bestmögliche Versorgung
für jede Frau wichtig sind, die sich für den Abbruch einer
Schwangerschaft entscheidet. Keine Frau wird diese Entscheidung
unüberlegt oder leichtfertig treffen. Die von der #fairändern
Petition angeführten Maßnahmen der zwangsweisen Beratung und einer
dreitägigen Wartefrist sehen wir als Versuch an, Frauen psychisch
massiv unter Druck zu setzen. Auch kann eine solche Zwangsberatung
den Zeitpunkt der medizinischen Behandlung zum
Schwangerschaftsabbruch verzögern, wie wir aus internationaler
Erfahrung wissen. Dadurch wird künstlich Druck aufgebaut und die
psychische Gesundheit der betroffenen Frauen massiv gefährdet.

Wir wollen hier nochmals in aller Klarheit feststellen, dass wir
voll hinter der Fristenlösung stehen und der Selbstbestimmung der
Frauen. Dieses Recht darf keinesfalls durch militante
Abtreibungsgegner aufgeweicht werden.

Im kürzlich sehr erfolgreich mit 481.959 Unterschriften
abgestimmten Frauenvolksbegehren 2.0 konnte sich eine halbe Million
Wahlberechtigte mit Forderungen, die über die Fristenlösung hinaus
gehen, identifizieren: „Die Verankerung und Finanzierung von
zeitgemäßer Bildung zu den Themen Sexualität, Verhütung und
Schwangerschaft in Schulen und Bildungseinrichtungen. Staatlich
finanzierte, rechtlich abgesicherte, anonyme und kostenfreie
Beratungsstellen in ausreichender Zahl zu Sexualität,
Geschlechtsidentität, Verhütung und Schwangerschaftsabbruch. Gratis
in Beratungsstellen zur Verfügung gestellte Verhütungsmittel. Die
volle Kostenübernahme von Schwangerschaftstests, Verhütungsmitteln,
die eine ärztliche Beratung voraussetzen sowie von
Schwangerschaftsabbrüchen durch Krankenkassen. Angebot und
Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen in allen öffentlichen
Krankenanstalten.“ (Forderungen Frauenvolksbegehren 2.0). Wir
ersuchen Sie darum, sehr geehrte Damen und Herren, dies ebenfalls zu
bedenken.

Als besonders irritierend empfinden wir, dass hier jemand,
namentlich Präsident Pichler, der selbst aufgrund seines Geschlechts
nicht mit der Thematik konfrontiert sein kann, dennoch ausführlich zu
Fragen der Frauengesundheit Stellung nimmt. Dabei gilt doch ganz
besonders in der Arbeit im Österreichischen Behindertenrat und in
vielen Mitgliedsorganisationen der Grundsatz „Nothing about us
without us“. Dennoch können wir verstehen, dass es menschlich sicher
hart ist, besonders wenn man selbst eine Behinderung von Geburt an
hat, über die Eugenische Indikation nachzudenken. Auch ist uns der
schreckliche historische Kontext zu den Verbrechen der NS Zeit an
Menschen mit Behinderung(en) bewusst. Gleichzeitig sind der Bereich
der pränatalen Diagnostik, ebenso wie medizinische
Behandlungsmöglichkeiten, rasend schnellen Veränderungen unterworfen.

Die persönlichen Entscheidungsgrundlagen sind damit ohnehin einer
ständigen Änderung unterworfen.

Als Politikerinnen bekennen wir uns klar dazu, dass jede Frau
gestärkt gehört um Fragen zu ihrem eigenen Körper und ihrer eigenen
Gesundheit und ihrer zukünftigen Lebensplanung best informiert und
gut treffen zu können. Wir sind auch zutiefst davon überzeugt, dass
vielen, wenn nicht sogar allen, Mitgliedern des Österreichischen
Behindertenrats die Stärkung der Gesundheitskompetenz von Frauen (mit
und ohne Behinderungen) ein großes Anliegen ist. Wir ersuchen Sie
daher, sehr geehrte Mitglieder im Präsidium des Österreichischen
Behindertenrats, um Klarstellung der Tatsache, dass die oben genannte
Aussendung von Präsident Pichler NICHT im Namen des Österreichischen
Behindertenrats verfasst wurde und dies lediglich eine persönliche
Einzelmeinung darstellt.

Mit freundlichen Grüßen,

Mag.a Dr.in Ewa Dziedzic, Mitglied des Bundesrates und Sprecherin
Grüne Frauen Österreich

Mag.a Barbara Huemer, Gemeinderätin & Landtagsabgeordnete Wien und
Frauensprecherin der Grünen Wien

Birgit Meinhard-Schiebel, Gemeinderätin & Landtagsabgeordnete Wien
und Grüne Sprecherin für Gesundheit

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