Nationalrat: Scharfe der Kritik der Opposition am Ausstieg aus demUN-Migrationspakt

Bundeskanzler Kurz verteidigt Regierungslinie und will keine Vermischung von Asyl und Migration

Wien (PK) – Die Lösung der wesentlichen globalen Zukunftsfragen hänge
davon ab, ob Europa handlungsfähig ist und mit einer Stimme spricht,
betonte NEOS-Klubobfrau Beate Meinl-Reisinger in der heutigen
Nationalratssitzung. Mit der einseitigen Ablehnung des
UN-Migrationspakts durch die Bundesregierung würden diese Fakten aber
konterkariert und der Multilateralismus in Frage gestellt. Aus diesem
Grund haben die NEOS für die Aktuelle Stunde das Thema „Nach Nein zu
Migrationspakt – Bundeskanzler Kurz verspielt Österreichs
diplomatische Rolle und Ansehen in der Welt“ gewählt. Kritik kam auch
von Seiten der anderen Oppositionsparteien, die sich um den guten Ruf
Österreichs in der Außenpolitik sorgten und der Regierung Angst und
Panikmache vorwarfen. Die Rednerinnen richteten nochmals einen Appell
an den Bundeskanzler, sich nicht der Stimme zu enthalten.

Multilateralismus heiße nicht, dass alle dieselbe Meinung haben
müssen, entgegnete Bundeskanzler Sebastian Kurz, der die
Regierungslinie verteidigte. Es stimme, dass der Pakt nicht
rechtsverbindlich ist, aber er stelle eine Selbstverpflichtung dar.
Er sei überzeugt davon, dass zahlreiche Staaten, die jetzt sang- und
klanglos zustimmen, viele der angeführten Punkte gar nicht umsetzen
wollen bzw. werden. Den UN-Pakt, der auch viele positive Elemente
enthält, sehe er vor allem deshalb kritisch, weil es zu einer
Vermischung zwischen der Suche nach Schutz und der Arbeitsmigration
kommt, betonte er. Vizekanzler Strache vertrat die Ansicht, dass
insgesamt 17 Punkte des Vertrags dem Regierungsprogramm diametral
gegenüberstehen.

NR-Präsident Sobotka: Nulltoleranz gegenüber Gewalt gegen Frauen und
Mädchen

Noch bevor die Debatte über die Aktuelle Stunde stattfand, erinnerte
Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka daran, dass das
österreichische Parlament die Kampagne von UN-Women „Orange The
World“ gegen Gewalt an Frauen unterstützt. Während der „16 Tage gegen
Gewalt an Frauen“, zwischen dem 25. November, dem Internationalen Tag
gegen Gewalt an Frauen und Mädchen, bis zum 10. Dezember, dem
Internationalen Tag der Menschenrechte, werden weltweit Gebäude in
oranger Farbe beleuchtet, um ein starkes Zeichen zu setzen.

In diesem Sinne wird auch das Parlament vom 20. bis zum 30. November
am Josefsplatz in der Farbe Orange erstrahlen. „Gewalt gegen Frauen
und Mädchen beschränkt sich nicht nur auf Krisenregionen, sondern ist
allgegenwärtig – Gewalt gegen sie findet in allen gesellschaftlichen
Schichten, in jeder Altersgruppe und unabhängig von Bildung, Religion
oder ethnischer Zugehörigkeit statt. Sie passiert sowohl im
städtischen als auch im ländlichen Raum, im öffentlichen wie im
privaten Bereich“, so der Nationalratspräsident.

Das dürfe und könne man nicht tolerieren. Die Sitzung wird daher
heute gegen 17.30 Uhr unterbrochen, um am Josefsplatz vor der orange
angeleuchteten Fassade ein Foto zu machen. Sobotka rief die
Abgeordneten auf, sich zahlreich zu beteiligen, um Geschlossenheit zu
zeigen. Dies sei vor allem auch im internationalen Kontext und vor
dem Hintergrund des Gedenkens an die Ausrufung der Republik vor 100
Jahren wichtig.

NEOS: Regierung verspielt gute Rolle Österreichs als Brückenbauer und
verlässlicher Partner

Die Klubchefin der NEOS, Beate Meinl-Reisinger, hielt es für höchst
an der Zeit, über die Vorgangsweise der Regierung in Bezug auf eine
„Schicksalsfrage für die Weltgemeinschaft“ ausführlich im Nationalrat
zu diskutieren. Die Ablehnung des UN-Migrationspakt schade nicht nur
der außenpolitischen Zusammenarbeit in der EU, sondern leiste vor
allem dem „Populismus und Haschen nach dem Applaus des Stammtisches“
Vorschub. Außerdem stelle es eine Blamage für alle MitarbeiterInnen
des Außenamts dar, die jahrelang mitverhandelt haben, und ruiniere
massiv den Ruf Österreichs auf dem diplomatischen Parkett. Es wäre
leicht möglich gewesen, einen anderen Weg zu begehen, meinte sie, man
hätte nämlich zu einzelnen Punkten Vorbehalte formulieren können. Der
Migrationspakt müsse auch im Zusammenhang mit der Ratspräsidentschaft
gesehen werden, unterstrich Meinl-Reisinger, da Österreich mit dem
Vorsitz eine große Verantwortung für die Weiterentwicklung Europas
übernommen hat. Damit sei auch eine Vorbildfunktion verbunden, der
Österreich nun in keiner Weise gerecht werde, beklagte auch Nikolaus
Scherak (NEOS).

Der UN-Pakt habe die Eindämmung von illegaler, chaotischer und
lebensgefährlicher Migration zum Ziel und nichts mit dem Thema
Flüchtlinge zu tun, stellte Stephanie Krisper (NEOS) mit Nachdruck
fest. Er lege gewisse Mindeststandards fest, die es ermöglichen
sollen, dass die Menschen in ihren Heimatländern bleiben können. Im
Gegensatz dazu präsentiere die Regierung eine „Angstliste“, die nur
fadenscheinige Gründe enthalte, um den Vertrag ablehnen zu können. So
sei etwa von einem Eingriff in die Souveränität der Länder im Text
keine Rede; es werde auch „kein Menschenrecht auf Migration“
geschaffen.

Bundeskanzler Kurz und Vizekanzler Strache verteidigen souveränes
Recht Österreichs auf Enthaltung der Stimme

Bundeskanzler Sebastian Kurz hielt das Argument, dass sich Österreich
nun vom Multilateralismus verabschiede, für nicht ganz redlich. Ein
souveräner Staat habe immer die Möglichkeit, sich in multilateralen
Angelegenheiten für Ja, Nein oder Enthaltung zu entscheiden. Er habe
sich in seiner Zeit als Außenminister in zahlreichen Bereichen
engagiert, wie etwa im Kampf gegen Atomwaffen, für Abrüstung und
vieles mehr, und versucht, gemeinsame Lösungen zu finden. Auch dabei
habe er zur Kenntnis nehmen müssen, dass einzelne Länder andere
Meinungen haben. Davon könne man jedoch nicht ableiten, dass diese
Staaten damit ihr Kapital verspielt haben. Kurz wehrte sich daher
auch gegen die derzeit herrschende „Aufregungskultur“. Nur weil sich
Österreich in der Frage des UN-Migrationspakts der Stimme enthält,
werde es nicht das „Image in der Welt verlieren“, hielt der Kanzler
den KritikerInnen entgegen. Außerdem sei man mit dieser Haltung nicht
alleine, auch andere europäische Länder sowie Israel oder Australien
sehen das so.

Was die konkreten Inhalte des Pakts angeht, so zeigte der
Bundeskanzler auf, dass im Text mindestens 80 Mal das Wort
Verpflichtung vorkommt. Eine Selbstverpflichtung sollte aber nur dann
eingegangen werden, wenn man es wirklich ernst damit meint. Er sei
überzeugt davon, dass zahlreiche Staaten, die jetzt sang- und
klanglos zustimmen, viele der angeführten Punkte gar nicht umsetzen
wollen bzw. werden. „Treffen wir uns in drei Jahren wieder und machen
wir eine Bestandsaufnahme, wie viele Staaten ehrlich den Inhalt des
Dokuments umgesetzt haben“. Die Flüchtlingskrise im Jahr 2015 habe
deutlich gezeigt, dass es eine klare Trennung zwischen der Suche nach
Schutz und der Arbeitsmigration geben müsse.

Migration sei kein Menschenrecht und soll auch keines werden,
bekräftigte Vizekanzler Heinz-Christian Strache, der auf die
Sicherstellung der Souveränitätsrechte Österreichs pochte. Man habe
auf eine sehr verantwortungsvolle Weise alle 23 Punkte des Pakts
bewertet und dabei festgestellt, dass 17 davon dem Regierungsprogramm
diametral gegenüberstehen. Ebenso wie der Bundeskanzler verwies er
darauf, dass der Vertrag eine Selbstverpflichtung der Staaten sowie
eine Adaptierung der nationalen Gesetze bedingen würde.

ÖVP und FPÖ für Beibehaltung der Souveränität in der
Migrationspolitik

Unterstützung für die Vorgangsweise der Regierung kam von RednerInnen
der ÖVP und der FPÖ. Karl Nehammer etwa ging noch einmal auf die
Hauptkritikpunkte ein, die letztlich zu einer Stimmenthaltung führen.
Als Beispiele führte er die Vermischung von Asyl und Migration oder
die fehlende klare Trennung zwischen legaler und illegaler Migration
an. Zahlreiche ExpertInnen hätten zudem bestätigt, dass auch ein
nicht verbindlicher Pakt sich zu Völkergewohnheitsrecht entwickeln
könne. Nachlesen könne man auch, dass Eingriffe in die souveräne
Sozialpolitik der Staaten möglich sind. Der Migrationspakt enthalte
zweifellos auch viele positive Punkte, wie z.B. die Bekämpfung von
Armut, die Koordinierung des Grenzmanagements oder das gemeinsame
Vorgehen gegen Schlepperei und Menschenhandel, räumte Abgeordnete
Eva-Maria Himmelbauer (ÖVP) ein. Nichtsdestotrotz müsse Österreich
selbst darüber entscheiden können, nach welchen Kriterien man nach
Österreich einreisen darf. Angesichts der zahlreichen
Verschwörungstheorien in den sozialen Medien gewinne man auch den
Eindruck, dass viele bewusst Angst schüren.

FPÖ-Klubobmann Walter Rosenkranz bedankte sich bei den NEOS für die
heutige Gelegenheit, einige Klarstellungen zum UN-Migrationspakt zu
treffen. Man habe sich die einzelnen Punkte genau angesehen und auch
Gutachten dazu eingeholt. Da sich der „Albtraum“ des Jahres 2015
nicht wiederholen darf, lasse man keine Eingriffe in die Souveränität
des Landes in Sachen Migration zu. Er sehe Österreich zudem als
Trendsetter in dieser Frage, weil nun auch in anderen Ländern ein
Nachdenkprozess eingesetzt habe, zeigte Rosenkranz auf. Viele Staaten
seien nun ebenfalls zum Schluss gekommen, dass sie keine Aushebelung
der nationalen Souveränität wollen, erklärte Johann Gudenus (FPÖ). Er
sei überzeugt davon, dass dies auch die Mehrheit der österreichischen
Bevölkerung nicht will.

SPÖ kritisiert Abkehr von der traditionellen Rolle Österreichs in der
Außenpolitik

Nach Auffassung des SPÖ-Klubobmanns Andreas Schieder sollte bei der
heutigen Debatte vor allem die grundsätzliche Frage beantwortet
werden, was die aktuelle Regierung unter Außenpolitik versteht. Er
erkenne dabei leider eine „totale Abkehr von der alten, erfolgreichen
Tradition Österreichs“, das sich als kleines Land immer als
Vermittler verstanden hat. Es war für Österreich immer klar, dass
Lösungen nur auf dem Verhandlungsweg und nur gemeinsam mit anderen
Staaten erzielt werden können. Die Linie der Regierung sei auch wenig
glaubwürdig, zeigte Schieder auf, da Kanzler Kurz noch vor einem Jahr
bei der UN-Vollversammlung den UN-Migrationspakt begrüßt hatte. Nur
um den Koalitionsfrieden zu erhalten, habe er nun seine Meinung
geändert. Dies sei keine Außenpolitik, die ihren Namen verdient. Wenn
man will, dass die negativen Auswirkungen der Migration in Österreich
nicht ankommen, dann müsse man den Pakt annehmen, forderte Schieder.

Seine Fraktionskollegin Petra Bayr hielt es für ziemlich
beunruhigend, dass die Regierung nicht die offizielle UN-Übersetzung
des Titels in Deutsch („Globaler Pakt für sichere, geregelte und
reguläre Migration“) übernommen hat, sondern in der
Ministerratsvorlage das Wort „regulär“ durch das Wort „planmäßig“
ersetzt hat. Dieser Ausdruck werde üblicherweise von Rechtsradikalen
und Identitären im Zusammenhang mit dem Thema Migration verwendet.
Ihrer Meinung nach sind die beiden Regierungsparteien generell eine
„unheilige Allianz“ eingegangen. Die ÖVP trage die fremdenfeindliche
Symbolpolitik der FPÖ mit, während die Freiheitlichen im Gegenzug die
arbeitnehmerfeindliche und großkapitalfördernde Politik der
Volkspartei unterstützen.

JETZT: Österreichs Image in der Außenpolitik werde einem
innenpolitischen Opportunismus geopfert

Die Staatengemeinschaft steht im 21. Jahrhundert vor drei großen
Herausforderungen, dem Klimawandel, der sozialen Frage und der
Migration, erklärte Bruno Rossmann (JETZT). All diese Fragen seien
zudem eng miteinander verbunden. Eine ausschließlich auf Gewinn
ausgerichtete Handelspolitik, die Ignoranz gegenüber der Kluft
zwischen Arm und Reich sowie die Zerstörung der Lebensgrundlagen in
vielen Ländern werden die Anzahl der flüchtenden Menschen vom Süden
in den Norden massiv erhöhen. Bedauerlicherweise werde die
österreichische Ratspräsidentschaft nicht dazu genützt, um all diese
drängenden Probleme anzugehen. Stattdessen distanziere sich
Österreich vom UN-Migrationspakt, was aus Sicht von Rossmann äußerst
kurzsichtig sei. Außerdem befinde man sich dabei im Einklang mit
„illustren Figuren“ wie Donald Trump und Victor Orban. Statt wie
bisher als Brückenbauer in der Außenpolitik aufzutreten, lasse sich
Kurz in dieser Frage von der FPÖ vor sich hertreiben, kritisierte
Rossmann.

Der UN-Pakt stelle einen Versuch dar, Migration im Rahmen eines
einheitlichen Regelwerks zu gestalten, konstatierte Alma Zadic
(JETZT). Die Initiative dafür ging sogar von Europa aus, weil es im
Jahr 2015 erkannt hat, dass einzelne Regionen alleine das Problem
nicht lösen können. Der nun vorliegende Pakt will daher die
internationale Zusammenarbeit fördern und die Fluchtursachen
bekämpfen. Besonders bedauerte Zadic, dass der politische Diskurs
über die zentralen Fragen der Gesellschaft polemisch geführt wird.
Viele der vorgebrachten Kritikpunkte seien haarsträubend und einfach
nicht wahr, wie etwa das Argument, der Pakt würde ein Menschenrecht
auf Migration schaffen. Es komme auch zu keiner Vermischung von
Migration und Asyl, betonte Zadic. Es handle sich nicht einmal um
einen Vertrag, sondern um eine Absichtserklärung, die auch nicht
unterzeichnet wird.

Martha Bißmann(o.F.) erinnerte daran, dass die ÖsterreicherInnen
selbst in den letzten hundert Jahren wiederholt gezwungen waren, die
Heimat zu verlassen. Heute sei es vor allem der Klimawandel, der die
Menschen weltweit zur Migration zwingt. Der UN-Migrationspakt wäre
ein erster wichtiger Schritt gewesen, um notwendige Maßnahmen in
diesem Bereich einzuleiten. Unverständlich sei für sie, warum die
Gegenargumente nicht schon vor zwei Jahren vorgebracht wurden. Mit
der kurzfristigen Ablehnung durch Österreich werde ein fatales Signal
ausgesandt, das zudem noch einen unkontrollierten Dominoeffekt
auslöst, beklagte sie.

Der UN-Migrationspakt schade den ArbeitnehmerInnen in den Herkunfts-
und in den Zielländern, urteilte der fraktionsfreie Abgeordnete
Efgani Dönmez, Nutznießer seien die Kapitalbesitzer und Unternehmen
in den Industriestaaten. Es sei daher für ihn nicht nachvollziehbar,
warum gerade die linken Parteien so auf den Abschluss des Pakts
drängen. Ein negativer Effekt des Migrationspakts wäre auch, dass es
zu einem massiven „brain drain“ kommen würde. Gerade jene Menschen
würden ihre Heimat verlassen, die in den Herkunftsländern dringend
gebraucht werden. (Fortsetzung Nationalrat) sue

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