
Tiroler Tageszeitung, Ausgabe vom 24. November; Leitartikel von Irene Rapp: „Gewalt ist männlich“
Innsbruck (OTS) – Innerhalb von zwei Jahren hat sich die Zahl der
getöteten Frauen in Österreich verdoppelt. Das sollte am morgigen Tag
zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen aufrütteln. Und die
einseitige Diskussion darüber endlich beenden.
Zum Jahresende 2015 kam es in Köln zu sexuellen Übergriffen von
als arabisch und nordafrikanisch beschriebenen Männergruppen. Genau
ein Jahr später gab es derartige Meldungen aus Innsbruck. Am
Frauentag 2016 verteilte eine österreichische Partei wegen der
Flüchtlings-Übergriffe Pfeffersprays.
Die Angst vor dem „dunklen“ Fremden war und ist groß. Die
Statistik zeigt jedoch, dass Frauen ganz woanders viel mehr Schutz
benötigen – nämlich im Familien- und Bekanntenkreis. Und da haben die
Zahlen eine Dimension erreicht, die betroffen machen und zeigen, dass
endlich umfassend gehandelt werden muss.
2015 überlebten 17 Frauen in Österreich die Auswirkungen
männlicher Gewalt nicht, der Großteil davon Beziehungstaten. 2017
waren es 36. Innerhalb von zwei Jahren hat sich die Zahl der zumeist
vom Ehemann, Freund oder Ex-Lebensgefährten getöteten Frauen
verdoppelt. Gestiegen sind auch die Anzeigen wegen Vergewaltigung und
sexuellen Missbrauchs. Ganz zu schweigen von physisch und psychisch
gequälten Frauen.
Die große Empörung in der Gesellschaft ist jedoch ausgeblieben.
Möglicherweise, weil häusliche Gewalt alltäglich und bis zu einem
gewissen Grad akzeptiert ist.
Wobei: In Sachen Opferschutz hat sich einiges getan. Seit 20
Jahren etwa gibt es das Wegweisungsrecht, wonach Männer der Wohnung
verwiesen werden können und ein Rückkehrverbot möglich ist, um Frauen
und Kinder zu schützen. Auch bereitet eine „Taskforce Strafrecht“ auf
Regierungsebene gerade mögliche strengere Strafen für Gewalttäter
vor.
Auf der anderen Seite blieb die Forderung nach mehr Plätzen für
ein Frauenhaus in Tirol lange ungehört. Und berichtet der Verein
„Mannsbilder“, dass Hilfesuchende abgewiesen werden, da die
Ressourcen für deren Beratung nicht vorhanden sind. Möglicherweise
eine tickende Zeitbombe. Viele Männer fühlen sich als Verlierer, ihre
soziale Not nehme zu, hieß es nämlich schon vor einiger Zeit bei der
niederschwelligen Einrichtung mit Außenstellen in ganz Tirol. Frust,
der zu Aggression führen kann. Und der nicht nur den Ruf nach
Täterarbeit, sondern präventiver Männerarbeit laut werden lässt.
Staatssekretärin Karoline Edtstadler (VP) wiederum meinte diese
Woche, dass das Opfer häuslicher Gewalt so selbstbewusst sein müsse,
dass es sich wehrt. Dieser Wunsch kommt einer Verleugnung der
Realität gleich, die weh tut. Und der am Tag zur Beseitigung von
Gewalt gegen Frauen an den falschen Adressaten geht.
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