
Kompetenzbereinigung: Gesetzespaket hat Verfassungsausschuss imzweiten Anlauf passiert
Bund-Länder-Vereinbarung soll bundeseinheitliche Qualitätsstandards für „Kinder und Jugendhilfe“ absichern
Wien (PK) – Das von der Regierung vorgeschlagene Gesetzespaket zur
Kompetenzbereinigung hat den Verfassungsausschuss des Nationalrats
passiert. Neben den Koalitionsparteien stimmte auch die SPÖ in der
heutigen Sitzung für den Entwurf, nachdem dieser, was die geplante
„Verländerung“ der Kinder- und Jugendhilfe betrifft, geringfügig
nachjustiert wurde. Damit dürfte die notwendige Zweidrittelmehrheit
im Nationalrat gesichert sein. Die NEOS und die Fraktion JETZT sind
dagegen weiter skeptisch: Ihrer Meinung nach müsste die Kinder- und
Jugendhilfe Bundesmaterie sein.
Konkret sieht das Gesetzespaket nun vor, die Gesetzgebungskompetenzen
für den Bereich „Mutterschafts-, Säuglings- und Jugendfürsorge“ erst
dann zur Gänze an die Länder zu übertragen, wenn eine Vereinbarung
zwischen dem Bund und den Ländern gemäß Artikel 15a B-VG zum Bereich
Kinder- und Jugendhilfe vorliegt und Rechtskraft erlangt hat. Damit
soll sichergestellt werden, dass das geltende Schutzniveau in diesem
Bereich erhalten bleibt. Eine ähnliche Bestimmung hatte zwar schon
die Regierungsvorlage ( 301 d.B. ) enthalten, allerdings war
ursprünglich nur eine rechtsverbindliche Vereinbarung der Länder
untereinander – ohne Einbindung des Bundes – in Aussicht genommen.
Zudem wurde eine Ausschussfeststellung zur Weiterentwicklung der
Kinder- und Jugendhilfe gefasst.
Erfreut über die nunmehrige Zustimmung der SPÖ zeigten sich nicht nur
die Abgeordneten der Koalitionsparteien, sondern auch Justizminister
Josef Moser. Es sei wichtig, Kompetenzen klar zuzuordnen, bekräftigte
er. Damit verhindere man, dass sich im Falle von konkreten Problemen,
Bund und Länder gegenseitig die Verantwortung zuschieben, wie das in
der Vergangenheit immer wieder der Fall gewesen sei. Dass es bei der
Kinder- und Jugendhilfe nun zu niedrigeren Standards kommen wird, ist
laut Moser schon allein deshalb nicht zu erwarten, weil das
bestehende Grundsatzgesetz ohnehin wenig präzise sei. Er sieht in der
Kompetenzübertragung vielmehr einen „enormen Fortschritt“, da sich
die Länder ausdrücklich dazu bekannt haben, einheitliche Standards zu
schaffen und Verantwortung zu übernehmen.
Die weiteren in der Verfassungsnovelle verankerten
Kompetenzverschiebungen treten Anfang 2020 in Kraft. Dabei geht es
insbesondere um eine Reduzierung der Zahl jener Materien, in denen
der Bund derzeit für die Grundsatzgesetzgebung zuständig ist und den
Ländern die Erlassung von Ausführungsgesetzen obliegt. Überdies
werden mit dem Paket die Datenschutzkompetenzen beim Bund gebündelt
und wechselseitige Zustimmungsrechte von Bund und Ländern, etwa was
die Festlegung von Bezirksgrenzen und Gerichtssprengeln betrifft,
aufgehoben.
Mittels Abänderungsantrag wieder aus dem Paket gestrichen wurde
dagegen jene Bestimmung, die eine Neuformulierung des Grundrechts auf
Datenschutz zum Inhalt hatte. Damit steht auch der dritte
diesbezügliche Anlauf vor dem Scheitern. Zuletzt ist das Vorhaben im
April dieses Jahres trotz eines Drei-Parteien-Antrags erfolglos
geblieben, da die SPÖ letztlich auf die Einführung einer
Verbandsklage im Datenschutzbereich beharrte. Weitere Abänderungen
betreffen klarstellende Präzisierungen, zudem wurde zu einigen
Punkten eine Ausschussfeststellung gefasst, um Missinterpretationen
zu vermeiden.
Weitere Kompetenzbereinigungen werden vorbereitet
Im Rahmen der Debatte bedankte sich Wolfgang Gerstl (ÖVP) für die
konstruktiven Verhandlungen. Sowohl er als auch
FPÖ-Verfassungssprecher Harald Stefan sehen in der Reform einen
wesentlichen Schritt zur Entflechtung von Kompetenzen. Der Artikel 12
der Bundesverfassung sei immer schon eine Anomalie gewesen, sagte
Gerstl, nun werde diese fast 100 Jahre alte Anomalie zumindest in
Teilbereichen beseitigt. Bis jetzt sei es noch niemandem gelungen,
diesen Knoten zu lösen, hielt Stefan fest. Die Befürchtung, dass die
Länder die Standards für die Jugendhilfe senken könnten, teilt Stefan
nicht. Nicht alles was zentral geregelt sei, sei automatisch besser.
„Da ist ein schönes Stück gelungen“, betonte auch Klaus Fürlinger
(ÖVP). Mit dem Paket werde der Boden für weitere Schritte gelegt.
Laut Justizminister Moser ist sein Ressort gerade dabei, die
restlichen drei Materien, die vorläufig im Artikel 12 der
Bundesverfassung verbleiben, so aufzubereiten, dass darüber
strukturiert diskutiert werden kann. Konkret geht es um einen
Aufriss, wer tatsächlich welche Kompetenzen wahrnimmt und welche
Lösungsvorschläge es für eine Entflechtung gibt. Vorliegen soll der
Problemaufriss bis 18. März, dann will Moser mit den Ländern und den
Parteien verhandeln.
Kritisch zum Gesetzespaket äußerten sich Nikolaus Scherak (NEOS) und
Alfred Noll (JETZT). Sie begrüßten zwar das Vorhaben, die Materien,
in denen der Bund für die Grundsatzgesetzgebung und die Länder für
die Ausführungsgesetze zuständig sind, zu reduzieren. Sowohl Scherak
als auch Noll sind aber überzeugt, dass die Kinder- und Jugendhilfe
besser beim Bund aufgehoben wäre. Die Kompetenzübertragung an die
Länder sei „falsch“, meinte Scherak. Die SPÖ mache sich zum
Erfüllungsgehilfen von ÖVP und FPÖ und falle „ohne Not um“, ergänzte
Noll. Auch die geplante Bund-Länder-Vereinbarung ist für Scherak nur
eine „hatscherte Lösung“.
Auch von der SPÖ kritisiert wurde, dass der Evaluierungsbericht zum
2013 beschlossenen Kinder- und Jugendhilfegesetz bislang nicht
vorgelegt wurde. Katharina Kucharowits (SPÖ) kündigte in diesem Sinn
einen Entschließungsantrag im Plenum des Nationalrats an.
Grundsätzlich betonte Kucharowits, dass Kinderschutz für die SPÖ
höchste Priorität habe. Ein Kind sei ein Kind, unabhängig davon,
welche Eltern es habe oder ob es ohne Eltern aufwachse. In diesem
Sinn hält sie die Sicherstellung hoher Qualitätsstandards in diesem
Bereich für ganz zentral. Ihr Fraktionskollege Johannes Jarolim
sprach von einer „seltsamen Gesetzeswerdung“ und interpretierte die
„Verländerung“ der Materie so, dass Bundeskanzler Sebastian Kurz die
Kinder- und Jugendhilfe offenbar egal, den Ländern aber ein wichtiges
Anliegen sei.
Bund und Länder werden sich Gesetzgebungskompetenz nur noch in
wenigen Materien teilen
Im Konkreten sieht der Gesetzentwurf vor, nur noch die
Kompetenztatbestände Armenwesen, Heil- und Pflegeanstalten sowie
Elektrizitätswesen im Artikel 12 der Bundesverfassung zu belassen,
welcher jene Materien umfasst, in denen dem Bund die
Grundsatzgesetzgebung obliegt und den Ländern die Ausgestaltung der
Ausführungsgesetze und die Vollziehung zukommt. Dazu gehören etwa
auch die Mindestsicherung und die Krankenhäuser. Von den neun übrigen
Kompetenztatbeständen wird ein Großteil in die alleinige
Zuständigkeit der Länder wandern. Das betrifft etwa die Säuglings-
und Jugendfürsorge, den Pflanzenschutz, die Bodenreform, natürliche
Heilvorkommen (Thermalwasser) und Kuranstalten. Dem Bund werden
demgegenüber die alleinigen Gesetzgebungskompetenzen für
Bevölkerungspolitik, Arbeitsrecht im Bereich Land- und
Forstwirtschaft und die außergerichtliche Streitvermittlung in
Angelegenheiten des Zivilrechtswesens und des Strafrechtswesens
übertragen. Gemeindevermittlungsämter, Antidiskriminierungsstellen,
Beratungsstellen und ähnliche Einrichtungen sind davon laut
Erläuterungen jedoch nicht umfasst.
Reduzierung der wechselseitigen Zustimmungsrechte von Bund und
Ländern
Mit dem Gesetzespaket werden darüber hinaus die wechselseitigen
Zustimmungsrechte von Bund und Ländern reduziert. Das betrifft nicht
nur die Festlegung der Grenzen von politischen Bezirken als künftig
alleinige Kompetenz der Länder und von Gerichtssprengeln als
alleinige Kompetenz des Bundes, sondern auch die Organisation der
Ämter der Landesregierung, die Bestellung von LandesamtsdirektorInnen
und die Verleihung des Stadtrechts an Städte mit mehr als 20.000
EinwohnerInnen. In diesen drei Bereichen wird der Bund künftig
ebenfalls kein Vetorecht mehr haben. Außerdem ist eine einheitliche
Vorgangsweise bei verbleibenden Einspruchsrechten der Bundesregierung
gegen einzelne Landesgesetze vorgesehen.
Ungeachtet der geplanten neuen Bestimmungen will die Regierung die
Interessen der Länder bei einer Änderung der Sprengel der
Bezirksgerichte jedoch weiter berücksichtigen, wie in den
Erläuterungen zum Gesetzespaket festgehalten wird. Zudem ist dort die
Zusage festgehalten, dass in jedem Bundesland zumindest ein
Landesgericht bestehen soll.
Zugunsten von mehr Flexibilität bei Postenbesetzungen gestrichen wird
die Bestimmung, wonach LandesamtsdirektorInnen und
MagistratsdirektorInnen aus dem Kreis der BeamtInnen kommen müssen.
Weiters können in Hinkunft die Rechtsvorschriften aller Behörden,
also etwa auch von Bezirksverwaltungsbehörden, Gemeinden,
Gemeindeverbänden und von in den Ländern eingerichteten
Selbstverwaltungskörpern (z.B. Ärztekammern), sowie von
Verwaltungsgerichten im Rechtsinformationssystem des Bundes (RIS)
kundgemacht werden. (Fortsetzung Verfassungsausschuss) gs
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