
WWF: Standortgesetz ist Angriff auf Umweltschutz und Rechtsstaatlichkeit
Wirtschaftsministerin will Umweltprüfungen schrittweise demontieren und Einbindung von Bevölkerung und Zivilgesellschaft einschränken – WWF fordert Rücknahme
Wien (OTS) – Der WWF Österreich bewertet das geplante
„Standort-Entwicklungsgesetz“ als gezielten Angriff auf Umweltschutz
und Rechtsstaatlichkeit und fordert daher die ersatzlose Rücknahme
der Regierungsvorlage. „Anstatt die Umweltverträglichkeitsprüfung
qualitativ zu verbessern, sollen umstrittene Großprojekte einseitig
privilegiert werden, was Umweltverschmutzung und Naturzerstörung
erleichtern würde. Zentrale Bestimmungen des Entwurfs sind sowohl
verfassungsrechtlich höchst problematisch als auch unions- und
völkerrechtlich sehr bedenklich“, sagt Hanna Simons, Leiterin Natur-
und Umweltschutz, in der WWF-Stellungnahme zur heute endenden
Ausschuss-Begutachtung. „Statt eines Freibrief für Betonierer und
Husch-Pfusch-Vorhaben braucht es Reformen in den relevanten
Materiengesetzen, dazu mehr Sachverständige und vor allem bessere
Unterlagen seitens der Projektbetreiber“, zeigt Simons wirksame
Alternativen auf.
Nachdem der verpfuschte erste Entwurf glatt durchgefallen ist,
enthält der zweite Anlauf eine neue „lex specialis“ samt
bürokratischer Parallelstruktur, um bestehende Umweltgesetze
auszuhebeln. Unter dem Vorwand ‚Standortrelevanz‘ will die
Wirtschaftsministerin das Umweltrecht schrittweise demontieren und
die Einbindung von Bevölkerung und Zivilgesellschaft einschränken.
„Der Rechtsschutz wird ausgehöhlt, die Stimme der Umwelt geschwächt.
Daher sehen wir den fairen Ausgleich aller Interessen gefährdet“,
sagt Simons und warnt vor potenziell hohen Folgekosten für Umwelt und
Gesellschaft. „Investitionen in die Umweltverträglichkeit werden in
Zukunft wohl deutlich geringer ausfallen. Noch mehr unausgegorene und
umweltschädliche Projekte, die bisher aus guten Gründen an den
geltenden Kriterien gescheitert wären, werden um eine Genehmigung
ansuchen.“
Der Entwurf enthält mehrere höchst bedenkliche bzw. potenziell
rechtswidrige Bestimmungen. Der Rechtsschutz und das Grundrecht auf
den gesetzlichen Richter werden eingeschränkt, Großprojekte einseitig
bevorzugt. Es ist auch nicht nachvollziehbar und zudem
demokratiepolitisch bedenklich, dass ein Sondergesetz gerade bei hoch
komplexen Großprojekten die Reaktionsfristen für Verfahrensbeteiligte
deutlich verkürzt – all dies entgegen der für sonstige UVP-Verfahren
geltenden Fristen. Dabei ist eine ausreichende Beteiligung der
Öffentlichkeit sowohl unionsrechtlich als auch völkerrechtlich
verpflichtend. EU-rechtlich dürfen Rechtsmittelbefugnisse in der UVP
nicht ungünstiger ausgestaltet sein als die Möglichkeiten in anderen
nationalen Verfahren. Eine Schwächung des Zugangs zu Gerichten ist
auch aus völkerrechtlicher Sicht höchst bedenklich. Fazit: Abseits
der grundlegenden Problematik ergeben sich durch die potenzielle
Rechtswidrigkeit auch massive Rechtunsicherheiten für
Projektwerbende, wenn Verfahren später aufgrund von
Höchstgerichtsurteilen neu aufgerollt werden müssten.
Die im offiziellen UVP-Bericht enthaltenen Fakten zu
Verfahrensdauern widersprechen der tendenziösen Begründung für das
Sondergesetz. Tatsächlich werden die meisten Projekte relativ rasch
bewilligt, sobald die Antragssteller die erforderlichen Unterlagen
korrekt vorgelegt haben. Ursachen für Ausreißer sind sehr oft
überlastete Behörden sowie unvollständige bzw. fehlerhafte
Unterlagen, die später mühselig verbessert werden müssen. Auch
diverse Planänderungen verschleppen immer wieder Verfahren. „Das
Standort-Entwicklungsgesetz spricht jedoch keine der bekannten
Problemursachen substanziell an und ist daher auch deshalb völlig
untauglich“, analysiert WWF-Expertin Simons.
„Wer Planungs- und Genehmigungsabläufe beschleunigen will, muss
dafür auch mehr öffentliche Akzeptanz schaffen. Allerdings ist ist
die intranspartene Entstehung dieses Gesetzes gerade in dieser
Hinsicht ein besonderes Negativbeispiel“, kritisiert Simons. Sowohl
die Öffentlichkeit als auch Umweltschutzorganisationen wurden lange
im Dunkeln gelassen, kritische Stellungnahmen blieben geheim oder
wurden nur in einer weichgespülten Form veröffentlicht. Im Gegensatz
dazu waren ausgewählte Konzernchefs früh über alle Details
informiert, um mit oberflächlich jubelnden Regierungsmitgliedern und
vorgefertigten Überschriften die Meinungsbildung zu drehen. „Ein
demokratiepolitisch gefährlicher Kurs, der aber zu einer Politik
passt, die lieber Husch-Pfusch-Gesetze inszeniert, anstatt seriös die
Ursachen von Problemen zu beheben“, kritisiert Simons.
Abschließend hält der WWF Österreich kritisch fest, dass die
Begutachtungsphase für ein derart einschneidendes und gegenüber dem
ersten Entwurf komplett verändertes Gesetz viel zu kurz ausgefallen
ist. „Damit wird die Mitsprache der Zivilgesellschaft massiv
erschwert. AUch das ist demokratiepolitisch bedenklich“, bekräftigt
Hanna Simons. Für solch umfassende Novellen ist daher die vom
Bundeskanzleramt empfohlene Frist von zumindest sechs Wochen
einzuhalten.
WWF Österreich
Gerhard Auer
Pressesprecher
+43 676 83488 231
gerhard.auer@wwf.at
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