
EU-Hauptausschuss zieht erste Bilanz über Ratsvorsitz Österreichs
Meinungen von Regierung und Opposition gehen weit auseinander
Wien (PK) – Der österreichische EU-Ratsvorsitz befindet sich in der
Zielgeraden – nur mehr knappe drei Wochen, bevor das Zepter an
Rumänien übergeben wird. Demgemäß wurde heute im EU-Hauptausschuss
auch erste Bilanz über das letzte Halbjahr in der Europäischen Union
unter Österreichs Leitung gezogen, wobei die Einschätzungen sehr
unterschiedlich ausfielen. ÖVP und FPÖ sprachen von einem
erfolgreichen Ratsvorsitz, die Opposition sah die Ergebnisse im
Gegensatz dazu äußerst mangelhaft. Vor allem in der Migrationsfrage
und im geplanten und nun hinausgeschobenen Ausbau von FRONTEX sparten
die Ausschussmitglieder vor allem von SPÖ und JETZT nicht mit Kritik.
Die Widerstände einzelner Staaten wie Griechenland, Italien und
Spanien seien zu groß geworden, erklärte dazu Bundeskanzler Sebastian
Kurz, viel wesentlicher aber sei es, dass es gelungen ist, das
FRONTEX-Mandat in Bezug auf Außerlandesbringung und Zusammenarbeit
mit Transitländern zu stärken. Was die Verschiebung der
Brexit-Abstimmung im britischen Parlament betrifft, so unterstrich
Kurz, dass es auf EU-Ebene keine Bereitschaft gebe, das Abkommen
aufzumachen beziehungsweise nachzuverhandeln.
Kanzleramtsminister Gernot Blümel informierte den Ausschuss darüber,
dass in rund 1.500 Sitzungen der Vorbereitungsgremien viel bewegt
worden sei. Mit dem Europäischen Parlament habe es 125
Trilog-Verhandlungen gegeben, ferner seien 32 Ratstagungen und 3
Treffen der Staats- und Regierungschefs durchgeführt worden.
Insgesamt habe man über 570 Beschlüsse gefasst, in Österreich selbst
seien rund 320 Vorsitzveranstaltungen durchgeführt worden. Auch die
kommenden drei Wochen werden sich noch sehr intensiv gestalten, so
Blümel, es gebe mehrere Ratstagungen und Trilog-Verhandlungen und man
versuche, noch möglichst viele Dossiers zum Abschluss zu bringen.
Allgemein wurde die Arbeit der österreichischen BeamtInnen gelobt.
Urteil über Ratsvorsitz reicht von großem Erfolg bis zu Misserfolg
Die Opposition ließ kaum ein gutes Haar an der österreichischen
Vorsitzführung. Andreas Schieder (SPÖ) und Bruno Rossmann (JETZT)
zitierten einen ZDF-Korrespondenten sowie andere Stimmen, wonach
Österreich vor allem seine eigene Agenda vorangetrieben und einen
Rechtsruck verursacht habe. Diplomaten würden von chaotischer
Organisation und einem „Rastvorsitz“ sprechen, so die beiden
Oppositionspolitiker. Claudia Gamon von den NEOS bewertete dies
differenzierter und meinte, es habe sowohl positive als auch negative
Rückmeldungen gegeben, sie unterstrich insbesondere die große
Sachkenntnis der österreichischen BeamtInnen. Als eine Provokation
nannte sie jedoch die Indexierung der Familienbeihilfe.
Naturgemäß anders sahen dies ÖVP und FPÖ. Der Präsidentschaft ist
viel gelungen, betonte Reinhold Lopatka (ÖVP) und verwies auf das
50-seitige Dokument mit einer vollen Verhandlungsbox für den
mehrjährigen Finanzrahmen. Er begrüßte auch die stärkere Forcierung
des Subsidiaritäts- und Proportionalitätsprinzips, zumal die
EU-Kommission in den letzten Jahren starke Tendenzen zum Zentralismus
gezeigt habe. Lopatka verwies dabei auf die steigende Zahl der direkt
in den Mitgliedstaaten geltenden Verordnungen und die gleichzeitig
sinkende Zahl der Richtlinien sowie auf die enorme Zunahme der
delegierten Rechtsakte, die eine Mitwirkung der nationalen Parlamente
ausschließen. Die Schlussfolgerungen in diesem Punkt seien daher ein
Schritt in die richtige Richtung.
Lopatka zeigte sich auch erfreut darüber, dass die EU nun zwei
weitere Verhandlungskapitel mit Serbien eröffnet und ein
Ratsbeschluss zum Kampf gegen Antisemitismus und Rassismus vorliegt.
Auch Petra Steger von den Freiheitlichen äußerte sich erstaunt über
die negativen Aussagen der Opposition und verwies ihrerseits auf
zahlreiche positive Kommentare zum bisherigen Ratsvorsitz
Österreichs.
Keine Annäherung der Standpunkte in der Migrationsfrage
Zankapfel in der Diskussion war einmal mehr die Migrationsfrage.
Bundeskanzler Sebastian Kurz zog dabei eine positive Bilanz. In
seinen Augen stellt vor allem die Stärkung des FROTEX-Mandats in
Bezug auf die Abschiebung und die Zusammenarbeit mit Drittländern
einen wesentlichen Schritt dar. Auch wenn er bedauerte, dass die
Aufstockung der FROTEX-Truppe auf 10.000 Personen aufgrund des
heftigen Widerstands einiger Länder auf das Jahr 2027 verschoben
wurde, hält er die Stärkung des Mandats für den wesentlicheren
Schritt. Mehr FRONTEX-Personal führe nicht per se zu weniger Toten,
stellte Kurz fest, wesentlich sei vielmehr, die Menschen zurück in
das Transitland zu bringen, wodurch man das Schleppermodell
durchbreche. Es gebe gute Gespräche mit den Transitländern,
beispielsweise mit Ägypten, berichtete Kurz. So sei es gelungen, die
Ankunft von Flüchtlingen an der Mittelmeerküste Europas um 95%
gegenüber 2015 zu senken. Damit sei die Mittelmeer-Route de facto
geschlossen, sagte er. Petra Steger (FPÖ) bekräftige, dass die
Regierung in Europa einen Umdenkprozess erreicht habe.
Abgeordneter Andreas Schieder (SPÖ) hatte im Vorfeld die Verschiebung
der Aufstockung von FRONTEX als eine unangemessene Reaktion auf das
drängende Problem bezeichnet. Wie Bruno Rossmann kritisierte
Schieder, dass der österreichische Ratsvorsitz sich nicht mehr um
eine faire Verteilung der Flüchtlinge bemüht habe, seiner Meinung
nach hätte das für Österreich eine Entlastung bedeutet. Das Ziel „ein
Europa, das schützt“ habe die Regierung auf die Migrationsfrage
eingeschränkt und den Sozialbereich ausgespart, warf Rossmann der
Regierung vor und bemängelte, dass dabei ein Minimalkompromiss
übriggeblieben sei. Rossmann forderte eine solidarische Lösung ein,
die sicherlich nicht einfach sei und um die Kurz einen Bogen mache,
wie er sagte. Der Kanzler wolle einfache Lösungen und die Sperre von
Routen.
Er wolle nicht etwas stark betreiben, von dem man von vorneherein
weiß, dass daraus nichts wird, konterte Kurz und hielt Schieder und
Rossmann entgegen, dass der Verteilungsvorschlag der EU-Kommission
darauf abgezielt habe, AsylwerberInnen weg von Griechenland und
Italien zu bringen und auf andere Länder zu verteilen, was für
Österreich zusätzliche Aufnahmen bedeutet hätte. Das sei keineswegs
fair, sagte Kurz und führte zudem die Niederlassungsfreiheit in
Europa ins Treffen, die dazu führen würde, dass sich Flüchtlinge nach
einer bestimmten Zeit auf den Weg in attraktive EU-Länder begeben
würden.
Viel verspricht sich der Kanzler auch vom kommenden Afrika-Forum, das
vor allem von den Abgeordneten Jessi Lintl (FPÖ), Reinhold Lopatka
(ÖVP) und Martin Engelberg (ÖVP) angesprochen worden war. Es gehe
darum, neben der traditionellen Entwicklungszusammenarbeit mit
afrikanischen Ländern eine nachhaltige Wirtschaft zu entwickeln, so
Kurz. Das Afrika-Forum sei daher als ein großes Wirtschaftsforum
gedacht, um Unternehmen zu motivieren, in afrikanischen Staaten zu
investieren, damit diese nicht allein auf chinesische Investitionen
angewiesen sind.
Brexit: Kurz schließt Nachverhandlungen aus
Ein beherrschendes Thema bleibt aber nach wie vor der Brexit, zumal
die britische Premierministerin die Abstimmung im britischen
Parlament verschoben hat und das Thema damit wieder auf die EU-Ebene
bringt. Der Bundeskanzler bedauerte diese Entwicklung sehr – auch
angesichts des baldigen Austrittstermins Ende März 2019 – und sprach
die Hoffnung aus, dass es Theresa May gelingen wird, eine Abstimmung
noch vor Weihnachten herbeizuführen.
Die EU und auch Österreich seien auf einen harten Brexit vorbereitet,
bekräftigte der Kanzler, wünschenswert sei ein solcher aber
keineswegs. Nachverhandlungen schloss Kurz gegenüber den Abgeordneten
Petra Steger (FPÖ), Bruno Rossmann (JETZT) und Andreas Schieder (SPÖ)
dezidiert aus. Was die Befürchtungen Kai Jan Krainers (SPÖ) betrifft,
dass es im Austrittsvertrag durchsetzbare Regelungen nur bei
Verstößen im Bereich des freien Kapitalverkehrs und des Warenverkehrs
geben soll, nicht aber bei Sozial- oder Umweltnormen, antwortete
Kanzleramtsminister Gernot Blümel, der Austrittsvertrag sei ein
Rechtstext; Krainer habe das künftige Verhältnis angesprochen, dieses
werde sich aber erst aus den Verhandlungen ergeben.
Regierung zufrieden mit Verhandlungsverlauf zum EU-Budget
Zufrieden zeigte sich die Regierungsspitze auch mit dem Verlauf der
Verhandlungen zum mittelfristigen Finanzrahmen. Diese hätten sich
wesentlich besser gestaltet, als man zu hoffen gewagt habe, sagten
Kurz und Blümel. Die Verhandlungsboxen (Definition der wichtigsten
Fragen und Optionen) seien de facto fertig, nun gehe es darum, diese
Boxen mit Zahlen zu füllen.
Österreich bleibe bei seiner Position, dass der EU-Haushalt nicht
größer als 1% des Bruttonationaleinkommens (BNE) sein solle. Die
EU-Kommission habe einen Kompromiss von 1,1% vorgelegt, das
Europäische Parlament sehe mehr vor. Bruno Rossmann (JETZT)
kritisierte einmal mehr die österreichische Position als
unrealistisch, denn es gehe nicht an, dass die vielen zusätzlichen
Herausforderungen mit weniger Mitteln bewältigt werden können.
Zu einem harten Disput zwischen SPÖ-Budgetsprecher Kai Jan Krainer
und Bundeskanzler Kurz kam es, nachdem in den Augen Krainers der
Kanzler seine Detailfragen nicht zufriedenstellend beantwortet habe.
Krainer wollte unter anderem wissen, ob die zu erwarteten
Mehrzahlungen von Österreich tatsächlich zwischen 350 Mio. € und 700
Mio. € liegen, und ob die Landwirtschaft mit einem Minus von 10%, das
heißt mit 150 Mio. € weniger, rechnen müsse. Konkrete Zahlen könne
man derzeit nicht nennen, betonten Kanzler Kurz und Minister Blümel
zum Unmut Krainers, auf EU-Ebene sei es üblich, mit Prozentzahlen zu
agieren. Sobald das BNE feststehe, könne man konkrete Zahlen nennen.
Die Finanztransaktionssteuer werde weiter verfolgt, betonte Kurz, die
Zahl der Mitgliedstaaten, die eine solche unterstützen, sei aber
immer geringer geworden. Auch bei der Digitalsteuer sei aufgrund des
Widerstands einiger Staaten – insbesondere auch seitens des deutschen
sozialdemokratischen Finanzministers – wenig weitergegangen, stellte
er mit Bedauern gegenüber Kai Jan Krainer (SPÖ) und Claudia Gamon
(NEOS) fest. Was die von Gamon angesprochene Tatsache betrifft, dass
Forschungsgelder vielfach nicht abgeholt werden, konnte der Kanzler
durchaus dem Vorschlag etwas abgewinnen, diese Gelder weiterlaufen zu
lassen und nicht wieder dem Budget zuzuführen. Wesentlicher Punkt ist
in seinen Augen aber eine wettbewerbsfähige Verteilung.
Angesprochen wurde von Gamon auch die im Vorfeld der kommenden
EU-Wahlen bestehende Gefahr der Desinformation und der einschlägigen
Propaganda im Wege der Sozialen Netze. Die Staaten hätten dies als
Thema erkannt, stellte Kurz fest, man habe eine erste längere
grundsätzliche Diskussion darüber abgehalten und diese würde auch
fortgesetzt. (Schluss EU-Hauptausschuss) jan
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