
Nationalrat: Opposition wirft Regierung soziale Kälte vor
Bundeskanzler Kurz sieht mehr Gerechtigkeit in Österreich
Wien (PK) – Nachdem kürzlich Bundeskanzler Sebastian Kurz und
Vizekanzler Heinz-Christian Strache eine Bilanz zum ersten
Regierungsjahr der ÖVP-FPÖ-Koalition gezogen hatten, präsentierte
heute im Nationalrat die Opposition ihr Resümee. „Ein Jahr Regierung:
Rechtsruck und soziale Kälte“ fasste JETZT im Titel der von dieser
Fraktion verlangten Aktuellen Stunde die bisherige Regierungsarbeit
zusammen. JETZT-Klubobmann Bruno Rossmann sprach von einer
„schamlosen Umverteilung von unten nach oben“, die von
Regierungsseite praktiziert werde. Beispiele dafür sieht er in der
geplanten Sozialversicherungsreform, bei der Einführung des
12-Stunden-Arbeitstags, den Änderungen bei Arbeitslosengeld und
Mindestsicherung sowie bei Kürzungen im Pflichtschul- und im
Integrationsbereich. Die SPÖ schloss sich der vernichtenden Bilanz
von JETZT an, „unsozialer, ungesünder, undemokratischer und
unmoralischer“ sei Österreich unter der aktuellen Regierung geworden.
Die Regierungsarbeit baue vor allem auf Populismus, kritisierten die
NEOS ebenfalls und prangern ein Abdriften Österreichs ins
„rechtsnationale Eck“ an.
Kurz und Strache zeichneten mit Unterstützung von ÖVP und FPÖ
naturgemäß ein anderes Bild vom vergangenen Regierungsjahr.
„Österreich steht heute gut da“, betonte Kurz mit Verweis auf
zahlreiche politische Unsicherheiten in Europa und führte das nicht
zuletzt auf den Mut und die Entschlossenheit seiner Regierung zurück,
die erfolgreiche Reformen umsetze. Fairness und soziale Gerechtigkeit
schaffe die Regierung, bekräftigte Strache. Steuererleichterungen für
Familien, höhere Pensionen und Entlastungen für Niedrigverdienende
habe man bereits umgesetzt. Die geplante Mindestsicherungsreform
werde überdies den Import von Armut beenden.
Untermalt waren die Wortwechsel zwischen Regierungsfraktionen und
Oppositionsparteien von der mehrmals gegenseitig ausgerichteten
Botschaft „Schämen Sie sich!“
JETZT: Sozialtransfer von unten nach oben
Die Regierung arbeite an einer „Zwei-Drittel-Gesellschaft“, hielt
Bruno Rossmann Kanzler und Vizekanzler vor. Das zeige sich schon am
sogenannten Familienbonus, von dem nur das mittlere und obere
Einkommensdrittel mit bis zu 1.500 € pro Jahr und Kind profitiere,
die unteren Einkommen müssten mit 250€ ihr Auslangen finden.
Kinderarmut werde daher zunehmen, gab Rossmanns Parteikollegin
Daniela Holzinger-Vogtenhuber zu bedenken, zumal die Mindestsicherung
pro Kind bei mehreren Kindern sich künftig reduziere. Außerdem fehle
weiterhin eine Unterhaltsgarantie für AlleinerzieherInnen. Insgesamt
gebe es einen „Frontalangriff auf Arme, Arbeitslose und Migranten“,
so Rossmann. Hass- und Feindbilder in der Gesellschaft würden
produziert, um andererseits die „eigene Klientel“ aus Industrie und
Wirtschaft zu bedienen. Etwa mit der Einführung des
12-Stunden-Arbeitstags gegen den Aufstand der ArbeitnehmerInnen und
Betriebsräte und -rätinnen.
Die Bevorzugung regierungseigener Interessen macht der
JETZT-Klubobmann auch bei der Neugestaltung der Sozialversicherungen,
der Umwandlung der Österreichischen Beteiligungsgesellschaft sowie
bei Neubesetzungen in den Staatsbahnen und der Oesterreichischen
Nationalbank aus. Die Auswirkungen dieser „Parteibuchwirtschaft“
unter der Ägide der FPÖ habe nicht zuletzt zum Skandal im Bundesamt
für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung geführt.
Brandaktuellen Themen wie dem Klimawandel schenke die Regierung Kurz
kaum Aufmerksamkeit.
Ebenso missachtet würden von der Regierung andere globalpolitische
Fragen, zog Alfred Noll (JETZT) nach und nannte dabei die Ausrichtung
aller Lebensbereiche auf ihren Geld- beziehungsweise Verkaufswert,
sowie das zunehmende Prekariat, wenn Ausbildungen nicht mehr zum
Erwerb ausreichen. Als Jurist bedauerte Noll zudem ausdrücklich, die
Justiz werde „budgetär ausgehungert“.
SPÖ: Regierung macht Land unsozialer
„Dieses Land ist durch diese Regierung unsozialer, ungesünder,
undemokratischer und unmoralischer geworden“, sagte Jörg Leichtfried
(SPÖ) und nannte unter anderem die Abschaffung der
Lehrlingsentschädigung, die Pläne zur Reform der Notstandshilfe und
zur „Business-Class in Krankenhäusern“, also das Regierungs-Vorhaben
von Sonderklasseleistungen in Ambulanzen. Das Parlament werde bei der
Gesetzgebung laufend umgangen, Volksbegehren wie jenes zum
Nichtraucherschutz würden ignoriert. Dabei nehme die Zahl der
frühzeitigen Todesfälle wegen Passivrauchens wieder zu: „Das ist Ihre
Verantwortung und Ihre Schuld.“ Einen politischen Moralverlust
erkennt Leichtfried schließlich in der FPÖ-Klage auf Rückerstattung
von Wahlkampfkosten.
Die Klimaerwärmung rückte Munar Duzdar (SPÖ) ins Zentrum ihrer Rede,
in der sie der Regierung vorwarf, gerade beim Klimaschutz
interessensgesteuerte Politik zu betreiben. Das Umweltressort habe
sich nicht gegen die probeweise Einführung der zulässigen
Höchstgeschwindigkeit von 140 km/h auf Autobahnen gewehrt, dafür
scheue es keine Kosten für die Übersiedlung des Umweltbundesamts von
Wien nach Niederösterreich. Auflagen zur Energiewende würden „auf
private Haushalte abgewälzt“, die Industrie dagegen geschont,
monierte Duzdar.
NEOS: Gesellschaft wird gespalten
NEOS-Klubobfrau Beate Meinl-Reisinger stellte wie die
Rechnungshofsprecherin ihrer Fraktion, Irmgard Griss, der Regierung
aus sozialer wie rechtlicher Sicht ein schlechtes Zeugnis aus. Für
die Lösung der Pflegeproblematik gibt es laut Meinl-Reisinger ebenso
wenig eine nachhaltige Lösung wie für ein generationengerechtes
Pensionssystem. Bei der Mindestsicherung würden die ärmsten Gruppen
gegeneinander aufgehetzt, was die Gesellschaft spalte. Der neue
Regierungsstil sei von der Weiterführung der althergebrachten Partei-
und Machtpolitik geprägt, analysierte die Klubvorsitzende weiter und
richtete ÖVP und FPÖ aus: „Umfärben ist keine Reform.“ Griss warf der
Regierung vor, den öffentlichen Diskurs in wichtigen Belangen wie der
Arbeitszeitflexibilisierung zu umgehen. Das Resultat seien Gesetze,
die mehr Rechtsunsicherheit schaffen.
„Wir erleben eine Unkultur der Ausgrenzung und des
Pauschalverdachts“, fasste Griss ihren Eindruck über die
Regierungspolitik zusammen und erklärte dies damit, dass die FPÖ mit
Angriffen gegen AusländerInnen ihre Wählerschaft von unpopulären
Maßnahmen – Stichwort 12-Stunden-Arbeitstag – ablenken wolle. Die
Abgeordnete ohne Fraktion, Martha Bißmann, verdeutlichte Griss‘
Kritik der Ausländerfeindlichkeit mit einer Stoffpuppe in türkischer
Tracht, um die sie die Lebensgeschichte eines Gastarbeiters aus der
Türkei spann. In den 1960er-Jahren für schwere Arbeiten nach
Österreich geholt, habe dieser Türke sich in Österreich unter
prekären Bedingungen mit seiner Familie ein Leben aufgebaut. Nun
würden er und seine mittlerweile gut ausgebildeten Kinder, die
rechtmäßig Steuern zahlen, von der Regierung ob ihrer
Doppelstaatsbürgerschaft unter „Generalverdacht“ gestellt und mit dem
Verlust der Existenz bedroht. Dabei, ist Bißmann einer Meinung mit
Griss, sollte erfolgreiche Politik auf ein friedliches Zusammenleben
aller gesellschaftlichen Gruppen ausgerichtet sein.
ÖVP: Sozialpolitik der Regierung ist ein Erfolg
„Meilensteine der Sozialpolitik“ hielt wiederum August Wöginger,
Vorsitzender im ÖVP-Klub, der Regierung zugute, als er gegen die
Argumente der Opposition auftrat. Konkret zählte er die steuerliche
Entlastung niedriger Einkommen seit vergangenem Juli, die anvisierte
Strukturreform bei den Sozialversicherungen und die Neugestaltung der
Mindestsicherung – „ein Akt der Gerechtigkeit“ – auf. „Wir sind eine
soziale Bundesregierung“, folgerte Wöginger, denn „wer arbeitet, darf
nicht der Dumme sein“. Beim von den Oppositionsfraktionen geschmähten
Familienbonus hielt er im Einklang mit Parteikollegen Karl Nehammer
fest, damit habe man „die größte Steuererleichterung“ seit
Jahrzehnten für Familien umgesetzt. SteuerzahlerInnen, die den Mut
zur Familiengründung haben, seien zu unterstützen.
Letztendlich gehe es bei sämtlichen Maßnahmen der Regierung um die
Sicherung des Sozialstaats, erläuterte Nehammer und machte an der
Arbeitszeitflexibilisierung fest. Dadurch sorge man für eine
funktionierende Wirtschaft, die Arbeitsplätze schaffe und so wiederum
die Grundlage für Wohlstand lege.
FPÖ: Regierungsarbeit für Österreich
Die Klubobmänner der FPÖ, Walter Rosenkranz und Johann Gudenus, sehen
die Regierungsarbeit durch die Vorhaltungen der Opposition bestätigt.
SPÖ, NEOS und JETZT mögen eine „Mehrheit abseits von Links zur
Kenntnis nehmen“, empfahl Rosenkranz. „Diese Bundesregierung arbeitet
für die Interessen der Österreicher und Österreicherinnen“, den
Befund gebe es bei der nächsten Nationalratswahl. Entschieden zurück
wiesen beide Redner die Aussagen der SPÖ, die Regierung sei
verantwortlich für Todesfälle aufgrund von Passivrauchen und die FPÖ
handle mit ihrer Klage gegen die Republik betreffend
Wahlkampfkostenrückerstattung amoralisch. Der Nichtraucherschutz sei
im neuen Tabakgesetz maßgeblich gestärkt geworden und die
Entscheidung, ob die FPÖ ihr Recht auf Kostenrückerstattung
zugestanden bekommt, obliege der unabhängigen Justiz. Er bezog sich
damit auf den Vorwurf Leichtfrieds, dass die FPÖ die Republik wegen
der durch die Bundespräsidentenwahlwiederholung entstandenen Kosten
klagt.
Eine „g’scheite Politik mit Herz, Hirn und Hausverstand“ ist in den
Augen von Gudenus das Markenzeichen der Regierung. Ihr „soziale
Kälte“ vorzuwerfen, sei völlig haltlos. Anders als SPÖ-geführte
Regierungen, die in den letzten Jahren „Armut produziert und
importiert“ hätten, schiebe die ÖVP-FPÖ-Koalition dem Leben „in der
sozialen Hängematte“ einen Riegel vor. Der im Debattentitel
angeführte „Rechtsruck“ stelle daher eine Bewegung hin zur Normalität
dar.
Kurz und Strache bekräftigen positive Bilanz
Bundeskanzler Kurz unterstrich, mit der Regierungspolitik befinde
sich Österreich am Weg in eine sozial sichere und gerechte Zukunft.
„Schuldenpolitik ist langfristig das Unsozialste“, hob er hervor,
dass für 2019 keine Neuverschuldung mehr einkalkuliert ist. Dagegen
erhielten arbeitende Menschen mehr Einkommen. Die neue
Mindestsicherung werde dafür sorgen, arbeitslose Personen schneller
wieder zurück ins Berufsleben zu bringen, denn „sozial ist, was stark
macht“. Ihm gehe es darum, betonte Kurz, Menschen aus der staatlichen
Abhängigkeit zu lösen. Gleichzeitig setze die Regierung mit
Initiativen wie der Reform der Sozialversicherungsträger auf
Sparmaßnahmen „im System“, spielte er auf die Verschlankung von
Verwaltungskörpern an. Bestätigt sieht sich Kurz nicht zuletzt durch
das gute Wirtschaftswachstum der Republik und die seit 2017 sinkende
Arbeitslosigkeit.
Die Regierung lasse keine „Massenzuwanderung in das Sozialsystem“
mehr zu, hielt Vizekanzler Strache fest. Stattdessen arbeitete man
konsequent für Erwerbstätige, Familien und PensionistInnen. Mit dem
Familienbonus und der letzten Pensionserhöhung erhielten die
betreffenden Gruppen die höchsten Entlastungen der Zweiten Republik,
so Strache, der dabei den Erhalt der Notstandshilfe zusicherte. Zur
Kritik der Opposition meinte er, der Vorwurf der sozialen Kälte
stimme nicht mit der politischen Realität überein. Allerdings sei die
Regierungspolitik „nichts für Linksideologen“. (Schluss) rei
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