Länder erhalten alleinige Zuständigkeit für Kinder- und Jugendhilfe

Nationalrat stimmt mit erforderlicher Zweidrittelmehrheit für Gesetzespaket zur Entflechtung von Kompetenzen

Wien (PK) – Für Gesetze im Bereich Kinder- und Jugendhilfe werden
künftig alleine die Bundesländer zuständig sein. Der Nationalrat hat
heute mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit eine entsprechende
Verfassungsnovelle verabschiedet, die auch in anderen Bereichen eine
Entflechtung von Kompetenzen zwischen dem Bund und den Ländern
bringt. Neben den Koalitionsparteien stimmte auch die SPÖ für den
Regierungsentwurf, nachdem dieser zuvor im Ausschuss noch
nachjustiert worden war. Durch die vorgesehene
Bund-Länder-Vereinbarung sei sichergestellt, dass es im Bereich der
Kinder- und Jugendhilfe weiterhin bundeseinheitliche
Qualitätsstandards geben und es zu keiner Nivellierung nach unten
kommen wird, machte Selma Yildirim geltend. Weitere
Kompetenzbereinigungen sollen laut Justizminister Josef Moser im
kommenden Jahr folgen.

Derzeit gibt es für den Bereich der Kinder- und Jugendhilfe ein
Grundsatzgesetz des Bundes und neun Ländergesetze. Das halten auch
die NEOS und die Fraktion JETZT für nicht wirklich sinnvoll. Ihrer
Meinung nach wäre es aber zielführender gewesen, die
Gesetzgebungskompetenzen für diese Materie zur Gänze beim Bund zu
bündeln. Nikolaus Scherak (NEOS) sieht im Gesetzespaket aber auch
sonst keinen großen Wurf.

Weitere Kompetenzbereinigungen betreffen u.a. den Datenschutz, das
Arbeitsrecht, die Bevölkerungspolitik und den Pflanzenschutz.
Außerdem werden mit dem Gesetzespaket wechselseitige
Zustimmungsrechte von Bund und Ländern, etwa was die Festlegung von
Bezirksgrenzen und Gerichtssprengeln betrifft, gestrichen. Ein
Abänderungsantrag der SPÖ zur Änderung des Datenschutzgesetzes fand
keine Mehrheit, auch zwei Entschließungsanträge betreffend die
Veröffentlichung der Evaluierungsergebnisse zum Bundes-Kinder- und
Jugendhilfegesetz fanden keine Mehrheit.

ÖVP, FPÖ und SPÖ begrüßen Kompetenzentflechtung

Uneingeschränkt zufrieden mit der Novelle zeigten sich ÖVP und FPÖ.
Auch wenn es nicht zu einer umfassenden neuen Kompetenzverteilung
zwischen Bund und Ländern komme, sei es doch ein Fortschritt, dass
für etliche Materien künftig nicht mehr zehn Gesetze – ein
Bundesgesetz und neun Landesgesetze – benötigt werden, sagte etwa
Wolfgang Gerstl (ÖVP). Die Vorgänger von Justizminister Moser hätten
fast 100 Jahre vergeblich versucht, diese „kleinen Dinge“ zu ändern.
Gerstl sieht außerdem einen Paradigmenwechsel: Das Misstrauen
zwischen dem Bund und den Ländern sei Vertrauen gewichen.

Von einem „sehr erfreulichen Schritt“ sprach FPÖ-Verfassungssprecher
Harald Stefan. Schließlich würden mit dem Paket auch gegenseitige
Blockademöglichkeiten abgeschafft. Zudem würde es nie zu Reformen
kommen, würde man stets auf dem eigenen Standpunkt beharren, hielt er
in Richtung NEOS und JETZT fest. Stefan hat auch keine inhaltlichen
Bedenken gegen die „Verländerung“ der Kinder- und Jugendhilfe, dieser
Schritt entspreche dem Subsidiaritätsprinzip. Schließlich seien die
Länder grundsätzlich näher am Menschen als der Bund. Zustimmend zur
Novelle äußerten sich auch die beiden ÖVP-Abgeordneten Friedrich
Ofenauer und Klaus Fürlinger.

Seitens der SPÖ begrüßten Peter Wittmann und Selma Yildirim die
vereinbarten Kompetenzentflechtungen. Der Artikel 12 gehöre weg aus
der Bundesverfassung, sagte Wittmann. Yildirim sprach von einer
Modernisierung der Verfassung. Allerdings sind Wittmann zufolge viele
Bestimmungen, die jetzt abgeschafft werden, ohnehin totes Recht.

Kinder- und Jugendhilfe: SPÖ sieht bundesweite Qualitätsstandards
gewahrt

Was die „Verländerung“ der Kinder- und Jugendhilfe betrifft, meinte
Yildirim, die SPÖ habe es sich nicht leicht gemacht und sich im Sinne
der VertreterInnen der Praxis vehement dafür eingesetzt, dass die
geltenden Qualitätsstandards erhalten bleiben. Das sei durch die
Bund-Länder-Vereinbarung gelungen. Es sei auch nicht möglich, dass
ein Land ausschert, sagte sie. Ihre Parteikollegin Katharina
Kucharowits bekräftigte, die SPÖ werde genau darauf schauen, dass
auch in Zukunft jedes Kind den gleichen Schutz bekomme. Es sei
Aufgabe der öffentlichen Hand, Kinder, die in nicht funktionierende
Familien hineingeboren werden, zu unterstützen. Sowohl die SPÖ als
auch die NEOS drängten darauf, die Ergebnisse der Evaluierungsstudie
zum Bundes-Kinder- und Jugendhilfegesetz zu veröffentlichen, zwei
dazu eingebrachte Entschließungsanträge fanden jedoch keine Mehrheit.

Datenschutz: Koalitionsparteien lehnen Verbandsklage weiter ab

Auch mit einem Abänderungsantrag zum Datenschutzgesetz blieb die SPÖ
in der Minderheit. Abgeordneter Wittmann wollte damit eine
Verbandsklage-Möglichkeit im Datenschutzbereich durchsetzen. Er
verstehe nicht, warum die Regierung Internet-Giganten wie Google oder
Facebook weiter schützen wolle, sagte er.

FPÖ-Abgeordneter Stefan lehnte die Initiative hingegen ausdrücklich
ab. Organisationen wie die Arbeiterkammer oder der Verein für
Konsumenteninformation könnten mit Zustimmung der Betroffenen ohnhin
jetzt schon Sammelklagen einbringen, erklärte er. Der Antrag ziele
aber darauf ab, Klagen ohne Einwilligung der Betroffenen zu
ermöglichen. Das sei nicht zweckmäßig.

NEOS und JETZT gegen „Verländerung“ der Kinder- und Jugendhilfe

Scharfe Kritik an der Zustimmung der SPÖ zur Verfassungsnovelle übte
Alfred Noll (JETZT). Die SPÖ sei „nicht ganz bei Sinnen“, meinte er.
Er wisse aus vielen Gesprächen, dass in der Partei niemand eine
„Verländerung“ der Kinder- und Jugendhilfe wolle. Auch
verhandlungstaktisch hält er die Vorgangsweise der SPÖ für „unklug“,
schließlich würde sie keine einzige Gegenleistung für ihre Zustimmung
erhalten.

Ebenfalls nichts von der vorgesehenen „Verländerung“ der Kinder- und
Jugendhilfe hält Nikolaus Scherak. Hier werde ein Schritt in die
falsche Richtung gemacht. Auch sonst kann Scherak im Paket keinen
großen Wurf erkennen. Selbstlob mache aus einem „Reförmchen“ noch
lange keine große Reform, bekräftigte er und wies darauf hin, dass
die großen Brocken Mindestsicherung, Spitalswesen und
Elektrizitätswesen nicht von der Kompetenzentflechtung umfasst seien,
sondern im Art. 12 der Bundesverfassung geblieben sind.

Moser: Größte Reform seit 1929 im Bereich der Kompetenzbereinigung

Justizminister Josef Moser beharrte demgegenüber darauf, dass es sich
beim vorliegenden Gesetzespaket um die größte Reform seit 1929 im
Bereich der Kompetenzbereinigung handle. Seit 30 Jahren werde über
eine Neuverteilung der Kompetenzen in Österreich diskutiert,
geschehen sei bislang nichts. Es gebe zahlreiche Doppelgleisigkeiten
und Ineffizienzen, die dafür sorgten, dass Steuergeld versickere und
nicht bei den Leuten ankomme.

Nun komme es in den von der Reform umfassten Bereichen zu einer
klaren Aufgaben- und Ergebnisverantwortung, hob Moser hervor. Das
gelte auch für die Kinder- und Jugendhilfe. Die „Verländerung“ sei
der richtige Weg, schließlich seien diese auch jetzt schon die Träger
in diesem Bereich. Moser wies zudem darauf hin, dass sich die Länder
zur Harmonisierung der Standards bekennen.

Allgemein hielt Moser fest, man sei vom Misstrauensprinzip
weggekommen hin zum Vertrauensprinzip. Weitere
Kompetenzentflechtungen stellte er für das nächste Jahr in Aussicht.
Enttäuscht zeigte sich der Justizminister von JETZT-Abgeordnetem
Noll, dieser habe in einem früheren Gespräch avisiert, dass er der
vorliegenden Reform zustimmen werde.

In Kraft treten werden die Kompetenzverschiebungen grundsätzlich
2020, wobei für die „Verländerung“ der Kinder- und Jugendhilfe eine
rechtsgültige Bund-Länder-Vereinbarung über einheitliche
Qualitätsstandards Voraussetzung ist. (Fortsetzung Nationalrat) gs

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