69. Städtetag: Wiens Gesundheitsstadtrat Hacker stellt Modell für „Pflege-Garantiefonds“ vor

Im Arbeitskreis 1 beim Österreichischen Städtetag ging es um die Finanzierung und den künftigen Bedarf in der Pflege

Wien/Rust (OTS/RK) – +++Bitte betrachten Sie die OTS0124 “68. Städtetag: Hitzige Debatten um die Zukunft der Pflege” als gegenstandslos. Anbei die Berichterstattung vom heutigen Arbeitskreis des 69. Städtetags zur Pflege+++

Der 69. Österreichische Städtetag in der Freistadt Rust wurde heute, Donnerstag, in vier Arbeitskreisen fortgesetzt.

Beim ersten Arbeitskreis diskutierten Wiens Gesundheitsstadtrat Peter Hacker, Alexander Miklautz, Abteilungsleiter im Bundesministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz, Ulrike Famira-Mühlberger vom WIFO, Cornelia Heintze, Städtekämmerin a.D., Politologin, Autorin und Expertin für europäische Pflegesysteme sowie Karoline Mitterer vom KDZ – Zentrum für Verwaltungsforschung am Podium über die künftige Finanzierung der Pflege und Herausforderungen für Städte.

Eine alternde Gesellschaft hat eine andere öffentliche Ausgabenstruktur als eine nicht-alternde Gesellschaft, erklärte Ulrike Famira-Mühlberger (WIFO). Durch die demographische Entwicklung steigt die Zahl der Pflegebedürftigen Menschen stark, ebenso die Nachfrage nach professioneller Pflege. Laut WIFO-Berechnungen werden Städte und Kommunen dafür bis 2030 rund 90 Prozent mehr ausgeben müssen, bis 2050 steigen die Ausgaben um 330 Prozent. Bei der Finanzierung der Pflege können die Kommunen auf Steuerfinanzierung oder ein System von Sozialbeiträgen setzen. Bei einer Finanzierung aus Steuern bestehe kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen den entrichteten Steuern und der Leistung, deshalb rechnet die WIFO-Expertin mit einem höheren Widerstand gegen neue Steuern. Bei einer Finanzierung über Sozialbeiträge sei mit einer höheren Akzeptanz aufgrund der Zweckbindung höher, die Mittel könnten allerdings nicht so flexibel eingesetzt werden wie Geld aus Steuern.

Cornelia Heintze – Expertin für kommunale Dienste im europäischen Vergleich – warnte vor politischer Untätigkeit und plädierte für einen Systemwechsel und eine Kommunalisierung der Pflege. Wenn die Städte und Gemeinden die Leistungen in der Pflege sicherstellen sollen, dann müssten sie auch die Kompetenzen und Finanzmittel dafür übertragen bekommen. Prinzipiell könne man in Europa bei der Pflege zwischen familienbasiert-konservativen und staatsbasierten Sozialstaaten unterscheiden. Österreich gehört wie Deutschland zu ersterem: die Organisation der Pflege ist primär die Aufgabe der Familie, die auf Unterstützungen durch Geldleistungen – seltener Sachleistungen – zählen kann. In staatsbasierten, sozialstaatlichen Systemen wie die skandinavischen Staaten, die Niederlande oder Belgien ist die Altenpflege öffentliche Aufgabe und in der Zuständigkeit der Kommunen. Hier gibt es eher Sachleistungen, die Finanzierung erfolgt überwiegend aus Steuermitteln. Staatlich geprägte Systeme sind auf den ersten Blick teurer, die gesamten Gesundheitsausgaben liegen aber dank effektiver Strukturen, starker Präventionsorientierung und einem effizienten Einsatz der Mittel für die Gesundheitsversorgung global gesehen nicht höher, so Heintze. Sie warnte davor, das deutsche System der Pflegeversicherung für eine mögliche Reform in Österreich heranzuziehen: Die Versicherungsleistung sei gedeckelt, viele könnten sich die Beiträge langfristig nicht leisten, was zu Altersarmut führe. Als Vorbild für einen Systemwechsel sollten die Niederlande dienen, argumentierte Heintze. Hier wurden Pflegeleistungen kommunalisiert und von „Gemeindeschwestern“ angeboten. Zur Finanzierung wurde ein Misch-System aus Steuer- und Beitragsfinanzierung etabliert. Die finanziellen Mittel gehen an die Kommunen.

Karoline Mitterer vom KDZ verwies auf die Kompetenzen-Aufteilung zwischen Bund und Ländern und Gemeinden bei der Pflege. Der Bund sei für Pflegegeld und die Förderung der 24-Stunden-Betreuung zuständig. Länder und Gemeinden hingegen sind zuständig für die Finanzierung, unter anderem durch Sozialhilfeumlagen. Ein Teil der Mittel für die Pflege kommt aus Pflegfonds, die anteilsweise von Bund, Ländern und Gemeinden gemeinsam dotiert werden. Durch die Nicht-Valorisierung des Pflegegeldes, die Dynamik der Sozialhilfeumlage und die Abschaffung des Pflegeregresses verschiebt sich die Finanzierungsverantwortung auf Städte und Gemeinden, warnte Mitterer. Der Masterplan Pflege der Bundesregierung bringe keine Antworten auf Fragen der Organisation, Personalfragen und Finanzierung der Pflege.

Peter Hacker – Amtsführender Stadtrat für Soziales, Gesundheit und Sport in Wien verglich anhand zweier Fallbeispiele die Kosten für mobile und stationäre Pflege. Mobile Pflege in der eigenen Wohnung sei von pflegebedürftigen Personen gewünscht, gleichzeitig werde landläufig auch angenommen, dass mobile Pflege die kostengünstigere Variante sei. Zahlen aus Wien allerdings zeigten bei den Kosten einen Vorteil bei der stationären Pflege. Bei einer alleinstehenden Kundin mit Mindestpension (863,04 Euro), Pflegegeldstufe 4 (677,60 Euro) und einer günstigen Gemeindewohnung (300 Euro), die 2,5 Stunden täglich Hauskrankenpflege und drei Stunden Heimhilfe pro Tag in Anspruch nimmt, entstehen Kosten von 7.000 Euro pro Monat, rechnete Hacker vor. Dem stünden 5.468 Euro für dieselbe Person gegenüber, die einen Platz mit Wohnen und Pflege in Anspruch nimmt. „Damit ist nicht gesagt, dass die stationäre Pflege zu bevorzugen sei, es kommt immer auf den individuellen Bedarf an“, so Hacker.

Hacker stellte ein Gedankenmodell für ein neues Pflegesystem vor. Bund, Sozialversicherung und Länder sollten eine gemeinsame Plattform zur Finanzierung und Organisation der Pflege etablieren. In diesen von Hacker angeregten „Pflege-Garantiefonds“ sollten die Geldmittel der drei Stakeholder gleichermaßen gebündelt werden. Dieser Garantiefonds deckt alle Leistungen für die Pflegebedürftigen ab und soll auch pflegende Angehörige absichern. Pflege-Servicestellen in den Ländern und Gemeinden sollten Beratung bieten und Kundinnen und Kunden an die passenden Angebote von Mobilen Diensten über teilstationäre Dienste bis hin zu geförderter 24-Stunden-Pflege oder Wohnen und Pflege vermitteln.

Alexander Miklautz – Stellvertretender Leiter der Sektion IV im Bundesministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz – gab einen Überblick über den Status Quo in Sachen Finanzierung der Pflege und „Masterplan Pflege“ der Bundesregierung. 41 Prozent der pflegebedürftigen Personen werden laut Zahlen des Ministeriums in Österreich durch Angehörige betreut, 32,6 Prozent von mobiler Pflege und Angehörigen und 18 Prozent werden stationär gepflegt. Bund und Länder teilen sich die Ausgaben dafür, wobei der Pflegefonds für die Jahre 2011 bis 221 mit 3,25 Milliarden Euro dotiert ist. Durch das Aus für den Pflegeregress ab 1. Jänner 2018 kommt es bei den Ländern zu einem Einnahmenentfall von 131 Millionen Euro. Durch den Umstieg auf Sozialhilfe kommt es zu Mehrkosten von 209 Millionen Euro. Eine Endabrechnung durch die Buchhaltungsagentur steht noch aus. Der Masterplan Pflege setzt auf mehrere Säulen auf, von Organisation der Pflege bis hin zu Digitalisierung. Miklautz schloss Änderungen am Masterplan durch die Regierungsumbildung und anberaumte Neuwahlen nicht aus. Einige Eckpunkte der Plans wie eine Studie zur Finanzierung der Pflege oder eine Erhebung des künftigen Personalbedarfs bei der Pflege seien bereits durchgeführt worden – die Ergebnisse würden bald vorliegen und würden bei in eine mögliche Adaptierung des Masterplans einfließen.

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