Leitartikel „EU täte gut daran, Abschied zu nehmen“ vom 24.10.2019 von Gabriele Starck

Innsbruck (OTS) – Der gordische Knoten in London kann nur noch durch den Vollzug des Brexits zerschlagen werden. Deshalb sollte die EU diesen nur noch exakt so lange verschieben, wie für die ordentliche Ratifizierung des Austrittsabkommens nötig ist.

Von Gabriele Starck
Das Vereinigte Königreich benötigt einen Neustart. Diesen ermöglichen aber weder Neuwahlen noch ein zweites Referendum, sondern einzig und allein der Vollzug des Brexits. Damit sollte sich endlich auch die EU abfinden. Stattdessen entfacht ausgerechnet die Londoner Unentschlossenheit immer wieder die Hoffnung der Kontinentaleuropäer, die Briten könnten es sich noch anders überlegen.
Wahlen, wie sie Premier Boris Johnson anstrebt, lösen den gordischen Knoten nicht, sie verlängerten nur das Chaos. Denn auch eine absolute Mehrheit für seine Tories ermöglichte ihm keinen Durchmarsch im Unterhaus. Dazu sind sich die Abgeordneten auch innerhalb der Parteienfamilien zu uneins, was und wie es geschehen soll. Ein zweites Referendum ignorierte wiederum den 2016 abgefragten und artikulierten Willen der Briten für den Brexit. Auch wenn es damals knapp war und die Beteiligung an der Abstimmung niedrig: Dass mittlerweile eine Mehrheit für den Verbleib in der EU wäre, ist nicht gewiss, und ein deutlicheres Votum für oder gegen den Brexit als 2016 auch nicht zu erwarten.
Was wiederum brächte der Verbleib des Vereinigten Königreichs der EU nach den zähen Jahren der Scheidungsverhandlungen? Natürlich ist der Brexit in mehrfacher Hinsicht schmerzhaft für Europa. Doch der Exit vom Brexit würde ebenso Probleme bereiten – nicht einmal neue, sondern altbekannte. Die EU darf in ihrem Klagen über die bevorstehende Trennung nicht vergessen, dass Großbritannien noch nie überzeugtes EU-Mitglied war, was sich im ständigen Kampf um die Ausweitung britischer Sonderregelungen und Rabatte offenbart hat. Dieses Tauziehen nach dem Motto „Wenn ihr wollt, dass wir bleiben, müsst ihr …“ begänne von vorn. Von der bereits angedrohten antieuropäischen Blockadepolitik der Brexiteers in Straßburg und Brüssel ganz abgesehen.
Deshalb müssen die Briten raus aus der EU. Nur so können sie die Ruhe finden, sich wieder zusammenzufinden und die Enttäuschten zu versöhnen – u. a. die Schotten, die derzeit gewillter sind denn je, sich vom Königreich loszulösen. Dann wird es auch möglich, dass sich UK und EU wieder annähern – auf der Basis eines Neubeginns eben. Deshalb sollten die 27 EU-Staaten London jetzt indirekt unterstützen, indem sie einer kurzen Verschiebung zustimmen. So lange, wie es notwendig ist, einen 110-seitigen Gesetzesentwurf ordentlich zu behandeln. Aber nicht so lange, dass die Basis wieder in Frage gestellt wird. Denn immerhin hat das Unterhaus der Vorlage – also dem Deal im Grundsatz – am Dienstag zugestimmt. So weit war der Brexit noch nie.

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