TIROLER TAGESZEITUNG, Leitartikel vom 26.November 2019 von Peter Nindler – „Wenn Kunst vogelfrei wird“

Innsbruck (OTS) – Kunst und Kultur, auch wenn sie nicht gefallen oder behagen, leben von Toleranz. Wer künstlerisches Schaffen im öffentlichen Raum wie in Innsbruck bewusst beschädigt, ramponiert damit die Pluralität als Grundpfeiler der Demokratie.

Bricht die Kultur weg, wird der Platz frei für Gewalt. Die deutsche Theaterregisseurin Andrea Breth, die Sonntag in Wien den „Nestroy-Preis“ für ihr Lebenswerk erhalten hat, malt ein düsteres Gegenwartsbild vom heutigen Kunstverständnis. Und sie liegt damit nicht weit daneben. Gewaltsam und politisch beklatscht vom „Gerechten Innsbruck“ werden in der Landeshauptstadt Kunstinstallationen in den Inn geworfen. Wenn der Besuch des Landestheaters von der FPÖ „als Freizeitvergnügen einer linksliberal-großbürgerlichen Oberschicht und ihrer pseudo-revolutionär grün-marxistischen Sprösslinge“ dargestellt und das „Grüß Göttin“-Schild in regelmäßigen Abständen verunstaltet wird, verliert eine Gesellschaft Kultiviertheit. Man hängt der Kunst im öffentlichen Raum das Schild „vogelfrei“ um. Weil es nicht gefällt. So einfach ist es, so nachdenklich stimmt das.
Kunst und Kultur leben von der Auseinandersetzung, sie festigen damit jedoch ein demokratisches Weltbild. Deshalb beschränken autoritäre und totalitäre Systeme selbstredend Kunst und Meinungsfreiheit. Das ist heute genauso wie zu Zeiten der Aufklärung. Schon Mozart musste mit seinem genialen Librettisten Da Ponte die Zensur im ausgehenden 18. Jahrhundert meisterlich umschiffen, damit er die „Hochzeit des Figaro“ mit der beißenden Adelskritik vor den Vorhang bringen konnte. Weil die Oper schlussendlich ins Bild der josephinischen Reformpolitik passte, wurde sie aufgeführt. Sehr zum Missfallen des Ancien Régime.
Denn Kunst ist (gesellschafts-)politisch und kritisch. Darum wird sie in gleicher Weise missbraucht. Die Politik oder selbst ernannte Gralshüter bestimmen dann, was ein Kunstwerk ist. Rudi Wachs „nackter Jesus“ war ein Drama, nach heftiger öffentlicher Erregung wurde das Kreuz erst 21 Jahre später 2007 auf der Innsbrucker Innbrücke öffentlich aufgestellt. Unter Bürgermeisterin Hilde Zach. Kultur lebt von der Toleranz, nicht von der Bösartigkeit der Politik oder des Publikums.
Natürlich sichert die öffentliche Finanzierung auch Kunst, die nicht behagt oder vor den Kopf stößt. Aber eine aufgeklärte Gesellschaft hält das locker aus. Kunstkritik ist Teil des Geschäfts, das Plattmachen von künstlerischem Schaffen allerdings Ausdruck von mangelndem Demokratieverständnis. Vielleicht sollte man daher den kommunalpolitischen Kultur-Populisten dankbar sein, weil sie uns mit ihrer intoleranten Denke ermutigen, die Freiheit der Kunst zu verteidigen. Gerade heute.

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