
TIROLER TAGESZEITUNG, Leitartikel: „Die Angst der Grünen vor sich selbst“, von Peter Nindler
Ausgabe vom Dienstag, 16. Juni 2020
Innsbruck (OTS) – Die Tiroler Grünen stehen vor dem Tor und wissen derzeit nicht, wie sie schießen sollen. Ins Out haben sie sich bereits geschossen, weil sie ein Problem der ÖVP zu ihrem gemacht haben. Ist diese Partei überhaupt noch regierungsfähig?
Landeshauptmannstellvertreterin Ingrid Felipe (Grüne) wird plötzlich infrage gestellt, weil sie nach der inakzeptablen „Luder“-Beschimpfung von ÖVP-Vizelandeshauptmann Josef Geisler auch von Verzeihung spricht. Offenbar ein Sakrileg in der Ökopartei. Eine gemeinsame Erklärung mit der ÖVP wird danach torpediert, weil ohnehin keiner damit etwas anfangen kann. Die inhaltliche Kritik daran ist nachvollziehbar, weil sich die Volkspartei kaum einen Millimeter bewegt hat. Nur Rückgrat sieht anders aus. Was die Grünen derzeit politisch aufführen, macht aber jedem Gartenschlauch Konkurrenz. Die Angst der Grünen vor sich selbst wird offensichtlich. Mitregieren und zugleich Opposition spielen – das kann auf Dauer nicht funktionieren. Die Große Koalition im Bund von SPÖ und ÖVP hat seinerzeit bewiesen, wohin das führt – ins politische Abseits. Ins Out haben sich die Tiroler Grünen bereits geschossen. Sie hätten sich längst mit Anstand aus der Koalition mit der ÖVP verabschieden können, weil sie nicht mehr mit Josef Geisler und einer Partei regieren möchten, „die ein Problem mit strukturellem Sexismus hat“ (Parlamentsklubchefin Sigrid Maurer). Und, und, und …
So deplatziert die Aussage der bisher glücklosen und in der Koalition mit der türkisen Kurz-ÖVP kuschenden grünen Parlamentsklubchefin auch ist, indem sie wie so oft klassische Schwarz-Weiß-Klischees bedient:
Während die Tiroler Volkspartei derzeit politisch angeschlagen taumelt, knocken sich die Grünen gegenseitig aus. Sind sie in diesem Zustand überhaupt noch regierungsfähig? Nein, aber dennoch haben sie in den vergangenen sieben Jahren dazu beigetragen, dass sich in Tirol etwas verändern kann; in der Gesellschafts-, Sozial-, Umwelt-, Naturschutz-, Mobilitäts- und Migrationspolitik. Dafür mussten sie auch immer wieder Kritik von den politischen Mitbewerbern einstecken. Ihre eigenen Erwartungen, jene der Basis, der Funktionäre und von Umweltinitiativen waren und sind sicher viel höher, die Rück- und Nackenschläge vom Regierungspartner ÖVP kein Honiglecken. Wie schwierig es selbst mit einem grünen Bürgermeister und als stärkste Partei sein kann, zeigt die zerfahrene politische Situation in Innsbruck.
Zweifelsohne belastet Geisler die schwarz-grüne Koalition und ist die Forderung nach seinem Rücktritt legitim: Doch jetzt braucht es endlich eine klare grüne Entscheidung. Bleiben oder gehen mit dem Risiko von Neuwahlen. Denn die Landespolitik ist schließlich kein Schüler- oder Studentenparlament.
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