TIROLER TAGESZEITUNG, Leitartikel: “„Message Controller“ verliert Kontrolle”, von Karin Leitner

Ausgabe vom Donnerstag, 25. Februar 2021

Innsbruck (OTS) – Der schönwettergewohnte Kanzler kann mit Tiefs nicht umgehen. Nicht souverän agiert die ÖVP angesichts von Problemen, sondern mit demokratiepolitisch bedenklichen Rundumschlägen gegen Justiz & Co.

Auf dem Reißbrett hat Sebastian Kurz die Machtübernahme in der ÖVP vorbereitet. Die Mission gelang. Das, worauf er abzielte, ebenfalls:
das Kanzleramt für die von schwarz auf türkis Gefärbten. Lobpreisungen auf den jungen Mann folgten. Cover-Geschichten nach seinem Gusto auch außerhalb Österreichs. Selbst das unglaubliche Ibiza-Video aus den Reihen des von ihm erwählten Koalitionspartners FPÖ schadete Kurz nicht. Nach der Wahl war seine Partei wieder Nummer 1. Auch da Glanz und Gloria für ihn im In- und Ausland – ob des erstmaligen Pakts von ÖVP und Grünen im Bund. Die Pandemie brachte das ganze Land in die Krise, die ÖVP nicht. Im Umfragehoch waren die Türkisen, mit Werten weit über ihrem Ergebnis beim vergangenen Urnengang. Alles war unter Kurz’ Kontrolle, so auch das ÖVP-Personal, sein Koalitionspartner. Dann die Zäsur: Fehler der Regierenden mehrten sich, die Zahl der unzufriedenen Bürger stieg. Plagiatsaffäre der Arbeitsministerin, der Innenminister in Erklärungsnot, der Finanzminister als Beschuldigter in der Novomatic-Causa. Zwist mit den Grünen, die monatelang gekuscht haben.
Eine neue Situation für den erfolgsverwöhnten Kanzler. Eine, mit der er nicht umgehen kann. Polit-Schönwetter ist das seine, Kaltfronten sind es nicht. Mit der Souveränität ist es vorbei. Nervös sind er und die Seinen. Nicht abgewartet wird das Ergebnis der Ermittlungen der Korruptionsstaatsanwaltschaft, die – laut ÖVP-Beteuerungen – nichts gegen Blümel ergeben werden. Seit Tagen schießen Kurz & Co. verbal gegen die WKStA. Er unterstellt ihr auch brieflich „fehlerhafte Fakten“ (!) und „falsche Annahmen“. Dass er damit strategisch falsch beraten war, ist das eine – weil das Thema damit in den Schlagzeilen gehalten, der Verdacht genährt wird, dass in Sachen Spenden nicht alles supersauber gewesen ist. Demokratiepolitisch schwer wiegt, dass die Kanzlerpartei – und das ist alarmierend – keinen Respekt vor der Gewaltenteilung hat. Das zeigt sich auch in deren Umgang mit den Vertretern des Hohen Hauses. Sinnbild dafür ist Blümel: schuhlos, mit türkisen Socken im Sitzungssaal. Aufgabe der Parlamentarier ist, die Regierung zu kontrollieren. Nicht legitim ist der Versuch der „Message Control“-Partei, ob des Kontrollverlustes auch noch die Justiz zu maßregeln – und die Pressefreiheit einzuschränken. Mit guter Politik gilt es zu überzeugen. Druck ist ein Zeichen von Schwäche. Wer stark ist, will Kritik nicht unterbinden. Er stellt sich ihr.

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