Leitartikel „Millionenschwere Entfremdung vom Volk“ vom 29. April 2021 von Alexander Gruber

Innsbruck (OTS) – König Fußball bleibt auch in Pandemie-Zeiten ein großes Geschäft in einem eigenen Universum. Das bestätigte am Trainermarkt erst kürzlich der Rekord-Transfer von Julian Nagelsmann zum FC Bayern München.

Geht es nach den länderübergreifenden Fangemeinschaften, wäre es an der Zeit, dass sich im internationalen Fußball wieder was dreht. Und zwar zurück zum Ursprung, wo das schöne Spiel („jogo bonito“) eine Lebenslust nährt, die vom Rasen auf die Ränge überspringt. Live is life. Mit Gesängen im Stadion und nicht dem primären Interesse an immer noch üppigeren Verträgen mit den TV-Stationen.
Die Sozialromantiker haben aber seit vielen Jahren im Weltfußball Pause. Es geht um „big business“, darum, ein „global player“ zu sein, der die Bedeutung des finanzkräftigen asiatischen Marktes und zukunftsträchtiger Zweige (z. B. E-Sport) im Auge hat.
Deswegen könnte sich die Empörung über den Rekordtransfer von Julian Nagelsmann, für den der FC Bayern ca. 25 Millionen Euro an Ligakonkurrent RB Leipzig überwiesen hat, durchaus in Grenzen halten. Der deutsche Rekordmeister, der (vorerst) nicht auf den ausgebremsten Super-League-Zug aufgesprungen ist, muss mit einem 33-jährigen Trainer der neuen Generation in den kommenden Jahren salonfähig bleiben. Und im Vergleich zum Transferwert des aktuellen Bayern-Kaders (840 Millionen Euro) nimmt sich die Nagelsmann-Ablöse nicht exorbitant hoch aus. Zudem geht einer wie der gefeuerte Tottenham-Coach José Mourinho jetzt beispielsweise mit einer Abfindung von 17 Millionen Euro spazieren. In der von TV-Geldern überschütteten Premier League potenziert sich bei den Vereins­eigentümern vom Scheich (Mansour bin Zayed al-Nahyan/ManCity), russischen Milliardär (Roman Abramowitsch/Chelsea), US-Investoren (Familie Glazer/ManUnited) bis hin zu Thailändern (Familie Srivaddhanaprabha/Leicester) der Kapitalismus. Die eingefleischten Anhänger sind vielerorts Fußball-Touristen gewichen, die Seele der Clubs wird ein Stück weit verkauft.
Die aufgestockte EM-Endrunde (von 24 auf 32 Teams) oder die Champions-League-Reform der UEFA (100 Spiele mehr) sind auch nicht vom ehrenwerten Charakter gezeichnet, mehr „Kleine“ mitnaschen zu lassen, sondern die Bedürfnisse der „Große­n“ zu stillen und die Erträge weiter nach oben zu schrauben.
Es fällt schwer, Stars Beifall zu klatschen, die in Corona- und Geisterspiel-Zeiten in der ausufernden Kicker-Blase auf zehn Prozent ihres Jahresgehalts verzichtet haben, wenn dieses weit im Millionenbereich liegt. Eine Gehaltsobergrenze und gerechtere Verteilung von Fernsehgeldern wären notwendig. Die Aktie Nagelsmann ist nur Teil einer irren Welt, die sich völlig abgehoben immer weiter vom Fuß(ball)volk entfernt.

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