TIROLER TAGESZEITUNG, Leitartikel: „Der Polit-Todestrieb einer Partei“, von Karin Leitner

Ausgabe vom Dienstag, 29. Juni 2021

Innsbruck (OTS) – Der Zuspruch zu den Regierungsparteien ist gesunken, der zur SPÖ gestiegen. Was macht diese Oppositionspartei? Sie nutzt die Gunst der Stunde nicht für inhaltlich Handfestes. Sie beschäftigt sich einmal mehr mit sich selbst.

Bei der SPÖ gibt es das Gesetz der Serie. Immer dann, wenn es für die einstige, langjährige Regierungspartei besser läuft, gibt es öffentlichen Konter aus den eigenen Reihen. Der selbst mäßig erfolgreiche Tiroler Vormann Georg Dornauer war anfangs mit von der Partie. Oberster Störer ist der in seiner Heimat reüssierende burgenländische Landeshauptmann Hans Peter Doskozil. Ob nun, beim Parteitag, konzertiert oder nicht: Dass Bundesvorsitzende Pamela Rendi-Wagner nur 75 Prozent Zuspruch bekommen hat, sagt viel aus über die Verfasstheit der jetzigen Oppositionspartei. Sie ist schlecht. Zuletzt – das zeigen Umfragen – haben die Sozialdemokraten an Zustimmung zugelegt, die Koalitionäre ÖVP und Grüne haben solche verloren. Was macht eine professionelle Konkurrenten-Truppe in dieser Situation? Sie nutzt sie, präsentiert sich einig – inhaltlich und personell. Die „türkise Familie“ agiert trotz ungeheuerlichen Verhaltens der Oberhäupter – von der Causa Schmid bis zu Blümel – geschlossen. SPÖ-Vertreter tun das Gegenteil. Sie schwächen die Partei­chefin coram publico. Und das auf infame Art: Keine Kritik, sondern Applaus vor deren Wahl, bei dieser stimmen 25 Prozent der Delegierten gegen sie. Hätten Rendi-Wagners Gegner eine Alternative, die sie auch benennen würden, wäre ihr Vorgehen zumindest nachvollziehbar. Sie haben aber keine. Umso unverständlicher ist ihr Tun. Wie blauäugig können Rote sein? Sie scheine­n den Polit-Todestrieb zu haben.
Dass Rendi-Wagner ob des Resultats für sie den Parteijob nicht hinschmeißt, sich nach wie vor als Spitzenkandidatin für die kommende Nationalratswahl sieht, ist erstaunlich. Es ist ja nicht das erste Mal, dass Gesinnungsfreunde sie desavouieren.
Dabei hatte sie sich in den vergangenen Monaten ob ihrer Expertise als Medizinerin gut geschlagen. Vieles von dem, was sie in Sachen Corona empfohlen hatte, wurde von ÖVP und Grünen – wenn auch zeitverzögert – realisiert. Auch anderweitig könnte die SPÖ punkten. Die Folgen der Pandemie werden lange spürbar sein – Arbeitslosigkeit, zu hohe Mieten, Existenzängste, die wachsend­e Kluft zwischen vielen Menschen, die immer weniger und jenen, die immer mehr haben, Pflege. Historische Kernthemen der Roten. Außer einem Pressekonferenzerl hier und dort kommt dahingehend nichts. Die SPÖ hat die Kampagnenfähigkeit längst verloren – wegen einer Parteizentrale im Dauerschwächemodus. Eine Partei in derlei Zustand lehrt die ÖVP-Spitze nicht das Fürchten, sie ist für diese Freudenquell.

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