Leitartikel “Provokateur aus Schwäche” vom 26. Oktober 2021 von Christian Jentsch

Innsbruck (OTS) – Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan stellt die Beziehungen zum Westen wieder einmal auf eine harte Probe.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan ist wegen der schwierigen wirtschaftlichen Lage in seinem Land – die Lira verliert immer weiter an Wert, die Inflation hat deutlich angezogen – schwer unter Druck geraten. In die Ecke gedrängt, holte er nun wieder einmal zu einem Rundumschlag gegen den Westen aus und stellt die Beziehungen der Türkei zu den wichtigen NATO-Partnern Deutschland, Frankreich und den USA auf eine harte Probe. Erdogan verkündete am Wochenende, er habe das Außenministerium angewiesen, zehn westliche Botschafter zu unerwünschten Personen erklären zu lassen. Diese hatten Anfang der Vorwoche die Freilassung des türkischen Kulturförderers Osman Kavala gefordert, der seit 2017 in Untersuchungshaft sitzt. Und das obwohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte schon 2019 seine Freilassung anordnete. Erdogan erklärte Kavala zum Staatsfeind, er habe die Gezi-Proteste von 2013 unterstützt und einen Umsturzversuch angezettelt. Spätestens seit dem gescheiterten Militärputsch vom Juli 2016 treibt Erdogan den Umbau des Landes in Richtung Autokratie energisch voran. Demokratie und Rechtsstaat stehen auf verlorenem Posten. Und das, obwohl der Westen in Erdogan einst einen Hoffnungsträger sah. In den Neunzigerjahren verwandelte er die Türkei in ein Wirtschaftswunderland und verankerte das Land an der Schnittstelle zwischen Europa und Asien in der westlichen Welt. Doch in den vergangenen Jahren folgte die Schubumkehr. Je mächtiger Erdogan wurde, desto mehr entfernte sich die Türkei von Europa. Doch besonders Deutschland lässt Erdogan nicht fallen, da er Europa die Flüchtlinge vom Leib halten soll. Dafür bekommt er Milliarden, dafür sieht Europa bei Menschenrechtsverstößen und Provokationen gerne weg. Ein gefährliches Spiel.

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