
Leitartikel „Was der Föderalismus braucht“ vom 8. Januar 2021 von Wolfgang Sablatnig
Innsbruck (OTS) – Wieder wechselt der Vorsitz zwischen den Landeshauptleuten. Wieder richten die Länder dem Bund ihre Forderungen aus. Überfällig wäre aber eine echte Neuordnung. Doch die fordert schon lange niemand mehr.
Von Wolfgang Sablatnig
Wer in diesen Corona-Tagen durch Österreich reist und die Vorsorge ernst nimmt, bekommt eine Lektion in angewandtem Föderalismus. Zwar haben es alle Bundesländer geschafft, dem Wiener Beispiel zu folgen und flächendeckend PCR-Gurgeltests anzubieten. Einfach ist es aber nicht, sich das (hoffentlich) negative Ergebnis abzuholen. Jedes Land verlangt eine eigene Registrierung. In jedem Land wird anders gegurgelt – mit Salzlösung oder ohne, mit Video oder ohne.
Warum diese Unterschiede? Ganz einfach: Für die Tests zuständig sind die Länder, die auch bezahlen müssen. Spannend wird die Abrechnung, irgendwann am Ende der Pandemie. Dann wird sich zeigen, ob die Konkurrenz zumindest preiswert war.
Nicht nur Corona zeigt dem österreichischen Föderalismus die Grenzen auf. Die Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern sind in weiten Bereichen noch immer so aufgeteilt wie vor 100 Jahren. Die Welt dreht sich weiter. Die Kompetenzen bleiben.
Erschwerend kommt dazu, dass die Länder viele Aufgaben haben. Das Geld hat aber der Bund, der die Steuern einhebt. Beispiel Spitalsfinanzierung: Betreiber der Krankenhäuser sind die Länder. Damit sie diese Aufgabe aber erfüllen können, müssen sie dem Bund immer zusätzliche Mittel herausverhandeln. Landeshauptmann Günther Platter verbucht 750 Millionen Euro als Erfolg seines Vorsitzes der Landeshauptleute.
Beispiel Kinderbetreuung: Bei den Landeshauptleuten führt jetzt der Vorarlberger Markus Wallner den Vorsitz. Er will sich für einen „Schub“ bei der Kinderbetreuung einsetzen. Diesen Schub fordern auch alle Länderregierungen. Am Ende stritten Bund und Länder aber immer über das Geld.
Beispiel Pflegereform: An der Notwendigkeit besteht kein Zweifel. Dass nichts weitergeht, ist zu einem guten Teil auf die zersplitterten Zuständigkeiten zurückzuführen.
Beispiel Sozialhilfe: Wer in Österreich auf das soziale Netz angewiesen ist, kann mit neun unterschiedlichen Vorschriften konfrontiert sein, vor allem als Ausländer.
Der Beispiele gibt es viele. Und natürlich kann die Antwort nicht heißen, den Föderalismus abzuschaffen. Niemand kann ernsthaft wollen, dass alles zentral geregelt wird.
Wer den Föderalismus aber wirklich hochhalten will, muss mehr tun, als gebetsmühlenartig seine Bedeutung zu beteuern. Die Pandemie zeigt einmal mehr die Probleme auf. Jetzt müsste jemand die Lehren daraus ziehen. Alle Ebenen – Bund, Länder, Gemeinden – sollen das tun, was sie am besten können. Was sie dafür brauchen, hat aber schon lange niemand mehr hinterfragt.
Tiroler Tageszeitung
0512 5354 5101
chefredaktion@tt.com
OTS-ORIGINALTEXT PRESSEAUSSENDUNG UNTER AUSSCHLIESSLICHER INHALTLICHER VERANTWORTUNG DES AUSSENDERS. www.ots.at
© Copyright APA-OTS Originaltext-Service GmbH und der jeweilige Aussender