TIROLER TAGESZEITUNG „Leitartikel“ Ausgabe vom 16. April 2022, von Michael Sprenger: „Gut für Politiker-Reden“

Innsbruck, Wien (OTS) – Vor und nach Karl Nehammers Reise in die Ukraine und nach Russland war wieder einmal vom „Brückenbauer“ die Rede. Österreich als „Brückenbauer“? Das ist lange her. Heute haben wir dafür eine hohle Phrase mehr.

In Sonntagsreden sowieso, aber auch in Wortmeldungen an einem Werktag: Wenn Politiker öffentlich das Wort ergreifen, da bilden übrigens Politikerinnen kaum Ausnahmen, versuchen sie oft unbewusst, klare Aussagen zu vermeiden. Ihr Hilfsmittel dabei ist die Phrase. Nach unangenehmen Affären wird eine „schonungslose Aufklärung“ versprochen, Wahlsieger verkünden, das „Amt mit Demut anzunehmen“. Regierungskoalitionen wollen „substantielle Ergebnisse“ für die „kleinen Leute“ erreichen, und überhaupt: Wenn es nichts Inhaltliches zu sagen gibt, dann „muss es einmal in aller Deutlichkeit gesagt werden“, schließlich mache man dies ja nicht „aus Jux und Tollerei“, denn der „springende Punkt“ sei es schließlich, „die Dinge zu versachlichen“, um letzten Endes „Schaden vom Land abzuwenden“. Deshalb sei es notwendig, auf „Augenhöhe zu kommunizieren“.
Mit Phrasen und Floskeln wollen Politiker also versuchen, sich und anderen eine Situation einzureden, deren Handlungen noch nicht gesetzt sind oder gar nicht folgen. Mitunter versuchen sich Politiker mit der phrasenhaften Sprache in einen Rahmen zu stellen, dessen Bild fehlt.
Dazu gehört in Österreich der „Brückenbauer“. Von diesem haben wir seit Jahrzehnten genug. Zwangsläufig scheint es so zu sein, dass es im Zusammenhang mit außenpolitischen Initiativen zum guten Ton gehört, sich selbst als „Brückenbauer“ zu bezeichnen. So machte es dieser Tage Bundeskanzler Karl Nehammer, so nannten sich schon seine Vorgänger.
Es stimmt schon: Insbesondere unter Bruno Kreisky hatte sich Österreich in der Welt einen Ruf als Vermittler erarbeitet. Kreisky betrieb eine aktive Neutralitäts- und engagierte Außenpolitik. Wien wurde UN-Sitz. Damals bestimmte ein bipolares Denken die Welt, Österreich konnte als kleines neutrales Land durchaus versuchen, Brücken zu bauen. So etwas ist eine Zeit lang auch im Nachhall tragfähig.
Wahrscheinlich hat aber die frühere Außenministerin Ursula Plassnik Recht, wenn sie sagt, der Begriff des „Brückenbauers“ hat einen „verstaubten Beigeschmack“, denn er „riecht nach Kaltem Krieg“. Der „Brückenbauer“ ist längst zu einem Mythos, also zu einem Teil einer Erzählung aus der innenpolitischen Vorzeit, verkommen. Österreich hat seit Jahren viele selbst ernannte „Brückenbauer“ hervorgebracht, aber wo wurde in den vergangenen Jahren je eine Brücke zwischen den Kulturen, zwischen verfeindeten Lagern errichtet? Dafür haben wir eine hohle Phrase mehr. Nicht nur für Sonntagsreden.

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