TIROLER TAGESZEITUNG “Leitartikel” vom 3. Mai 2022 von Peter Nindler “Kommunale Trutzburgen”

Innsbruck (OTS) – So engagiert die Gemeinden für ihre Bürger werkeln, Innovationskraft und Eigeninitiative sind nicht ihre Stärken. Vielfach soll alles so bleiben, wie es ist. Auch im Tiroler Gemeindeverband als einer der letzten politischen Männerbastionen.

Ständig jammern, aber zugleich 20 Millionen Euro aus der vom Bund bereitgestellten Gemeindemilliarde nicht abholen – wie geht denn so etwas? Außerdem passt es gar nicht ins Bild der von Pandemie und von finanziellen Herausforderungen in der Kinderbetreuung, Pflege oder der Krankenhausfinanzierung geplagten Tiroler Gemeinden. Sogar zweimal nicht, stehen die 277 Kommunen samt Verbindlichkeiten der Gemeindeverbände und Haftungen doch mit 2,13 Mrd. Euro in der Kreide. Trotz der vielerorts engagierten Politik zugunsten ihrer Bürger muss die Sonntagsmesse für die Bürgermeister und Gemeinderäte nicht gelesen werden. Das gilt genauso für den Gemeindeverband.
Die fast 100 Prozent für den wiedergewählten Präsidenten Ernst Schöpf können über erstarrte Strukturen nicht hinwegtäuschen. Bürgermeisterinnen in führenden Verbandsfunktionen sind mehr oder weniger Fehlanzeige. Zu mehr fällt einem noch schmeichelhaft und zu weniger heillos untertrieben ein. Der Gemeindeverband ist und bleibt ein Männerverein. Nicht mehr und nicht weniger.
So werden vielfach die Defizite genauso übersehen bzw. nicht angesprochen, notwendige Entwicklungen wie die gemeindeübergreifende Zusammenarbeit zu zaghaft angegangen oder einfach kleingeredet. Der Kirchturm im Dorf ist identitätsstiftend, das Denken in Kirchtürmen hingegen ein Bremsklotz. Mit der Widmungs-, Bau- und Raumordnungspolitik verfügen die Gemeinden zwar über autonome und mächtige Gestaltungsinstrumente, gleichzeitig nehmen der Wildwuchs an illegalen Freizeitwohnsitzen sowie die Spekulation mit Betongold, Investorenmodellen für Chaletdörfer und versteckten Bettenburgen die Dörfer in die Zange.
In den Gunstlagen erfolgt eine Zersiedelung, in den Gemeinden eine Entfremdung. Das Versagen in der Bodenpolitik wird lediglich von mangelnder Kontrolle bei vermuteten illegalen Freizeitwohnsitzen überboten. Am besten wegschauen lautet nach wie vor landauf, landab die Devise.
Der zukunftsweisende und politischen Respekt abringende Zusammenschluss der ehemaligen Wipptaler Gemeinden Matrei, Pfons und Mühlbachl zu Matrei am Brenner wiederum war am Gemeindetag in Haiming nicht einmal eine Randnotiz wert. Selbst Günther Platter (ÖVP), der zuletzt beinahe im Tagestakt zum Forderungs-Landeshauptmann avancierte, thematisierte diese wichtige Vorbildfunktion für andere Gemeinden nicht. Obwohl er damit vielen der anwesenden Bürgermeister ins Gewissen geredet hätte.
Weil es offenbar populärer ist, etwas von Bund und Land zu verlangen, als auf Eigeninitiative in der Kommunalpolitik zu drängen.

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