Tiroler Tageszeitung, Leitartikel, Ausgabe vom 28. Juni 2022. Von ANITA HEUBACHER. “Der Mief der 50er-Jahre”.

Innsbruck (OTS) – Einer von sechs Spitzenkandidaten zur Landtagswahl ist weiblich. Das zeigt auch den konservativen Mief, der sich in Tirol nicht lichtet, sondern festgesetzt hat. Das Bild einer progressiven und zukunftsweisenden Politik sieht anders aus.

Tirol ist ein konservatives Land. Das sieht man unter anderem daran, wie sich das Land gerne präsentiert: Beim landesüblichen Empfang marschieren überwiegend Männer in Uniformen auf. Nun hat Tradition ihre Berechtigung. Aber dass die Landesregierungen bis heute nicht das Gefühl entwickelt haben, dass neben den Schützen noch was fehlt, nämlich das Bild eines progressiveren und auch weiblicheren Tirol, ist bezeichnend.
Tirol ist ein konservatives Land, und zwar nicht nur gefühlt, sondern auch anhand von Daten ablesbar: Frauenbeschäftigungsquote, Pensionslücke, Kinderbetreuung, Besetzung von Chefsesseln in Politik und Wirtschaft. Da sind wir noch weitaus miefiger unterwegs als Wien. Der Tiroler Boden ist kein guter Boden für Frauenpolitik. Trotzdem war das Land schon einmal weiter und hatte 2008 mit den ÖVP-Landesrätinnen Anna Hosp und Elisabeth Zanon Anwärterinnen auf den Landhauptleutesessel. Am Ende setzte sich Günther Platter durch, der letztlich keine der beiden starken Frauen neben sich in der Regierung sitzen haben wollte.
Heute ist eine Landeshauptfrau nicht einmal mehr ein Denkmodell. Um ein Haar hätte es nur männliche Spitzenkandidaten für die Landtagswahl im Herbst gegeben. Das hat eine der zwei kleinsten Oppositionsparteien, die Liste Fritz, verhindert. Zwei Abgeordnete, einen Mann und eine Frau, stellt die Liste Fritz. Gestern hat sich die Partei entschieden, den Elfmeter zu verwandeln und die einzige Spitzenkandidatin für die Landtagswahlen ins Rennen zu schicken. Warum sich weniger Frauen für die Politik begeistern, hat vielschichtige Gründe. Der Umgang der Parteien mit ihren Parteichefinnen ist einer davon und alles andere als animierend. Stellvertretend sei nur an den Umgang der SPD mit ihrer Kurzzeit-Parteichefin Andrea Nahles erinnert oder daran, wie SPÖ-Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner von ihren Genossen behandelt wird. Die ÖVP hat es in knapp achtzig Jahren nicht ein einziges Mal geschafft, eine Frau zur Bundesparteichefin zu machen. Frauenfeindlichkeit, das ist ganz klar, geht nicht nur von Männern aus. Das macht es Frauen in Führungspositionen doppelt schwer. Sie werden von Männern kritisiert, die von sich glauben, die besseren Chefs zu sein, und von Frauen, die Frauen als Vorgesetzte schwerer akzeptieren als Männer.
Eine Gesellschaft tut gut daran, für Geschlechtergerechtigkeit zu sorgen. Es macht einen Unterschied, wie viele Frauen sich an der Gestaltung der Rahmenbedingungen beteiligen. In Tirol ist in dieser Hinsicht, mehr denn je, noch viel zu tun.

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