Enquete des Bundesrats beleuchtet Daseinsvorsorge

Statements von Expert:innen und Mandatar:innen zu breitem Themenspektrum

„Verlässliche öffentliche Strukturen als Basis des gesellschaftlichen Zusammenhalts“ hatte die heutige Enquete des Bundesrats als zentrales Thema (siehe auch Parlamentskorrespondenz Nr. 1366/2022). Im zweiten Teil stand das Panel unter dem Titel „Die Bedeutung der Daseinsvorsorge als verlässlicher Partner in unserem Alltag“ auf dem Programm. Anschließend brachten die Fraktionsvorsitzenden des Bundesrats und Teilnehmer:innen der Enquete ihre Statements dazu ein.

Bundesratspräsidentin Korinna Schumann bedankte sich in ihren Schlussworten für die umfassende Diskussion im Rahmen der Enquete. Konsens sei in jenem Punkt erzielt worden, wie bedeutend die Leistungen des Sozialstaats und der Daseinsvorsorge seien. Außerdem müssten die großen Transformationsprozesse so gestaltet werden, dass niemand zurückgelassen wird.

PANEL ZUR BEDEUTUNG DER DASEINSVORSORGE

Ob Strom, Wasser, öffentliche Verkehrsmittel oder Betreuungseinrichtungen, die Beschäftigten in der kommunalen Daseinsvorsorge leisten Großartiges, betonte Christian Meidlinger, Vorsitzender der Gewerkschaft younion. Sowohl beim Gehalt, als auch in der Sprache müsse sich diese Wertschätzung niederschlagen. Nachholbedarf ortet er beim Thema Ausstattung, aber auch beim Mangel an Pflegepersonal oder beim Betreuungsschlüssel in den Kindergärten. Personalmangel sei insgesamt auf die demografische Entwicklung mit Ruheständen zurückzuführen, meinte er, wobei der Wissenstransfer ein großes Thema sei. Was die Klimakrise betrifft, zeigte sich Meidlinger überzeugt, dass bei der Dekarbonisierung auch den Gemeinden eine starke Rolle zukommen müsse.

Der Begriff Daseinsvorsoge umfasse die staatliche Aufgabe zur Bereitstellung von Grundversorgung, erläuterte Nationalratsabgeordneter und Bürgermeister Andreas Kollross (SPÖ) in seiner Funktion als Bundesvorsitzender des Sozialdemokratischen Gemeindevertreter:innenverbandes Österreich (GVV Österreich). Als epochales Meisterwerk der Daseinsvorsorge bezeichnete er die Wiener Wasserleitung, mit deren Errichtung vor fast 150 Jahren letztlich die Cholera bezwungen worden sei. Jede technologische Entwicklung stelle auch neue Fragen in der Daseinsvorsorge, nannte er etwa das Thema Glasfaserausbau oder die Energiewende. Eine ebenso klassische Frage der Daseinsvorsorge stelle die Kinderbetreuung dar. Als Bürgermeister kritisiere er, dass zu den zusätzlichen Aufgaben der Gemeinden nicht die Finanzmittel gekommen seien, um diese zu bewältigen. Kollross bemängelte außerdem eine Ausdünnung der Daseinsvorsorge im ländlichen Raum und sprach sich darüber hinaus für einen Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung aus.

Nationalratsabgeordneter Erwin Angerer (FPÖ) wies auch als Bürgermeister auf die vielzähligen Aufgaben der Gemeinden zur täglichen Daseinsvorsorge hin. So umfasse dies von der WC-Abwasseranlage über den Gemeindesbus und die Schneeräumung bis hin zum Glasfaseranschluss etwa den Hort, das Pflegeheim, aber auch das sportliche und kulturelle Vereinsleben. Kritisch sieht Angerer etwa, dass noch nicht ermöglicht worden sei, dass auch andere Fahrgäste den Schulbus nutzen dürfen. Ähnlich wie Kollross sieht auch er die Herausforderungen und Ausgaben für die Gemeinden steigen. Einnahmenseitig ortet Angerer ein Problem aufgrund der Wirtschaftskrise, aber auch durch die Abschaffung der kalten Progression. Es gelte, hier die entsprechenden Mittel zur Verfügung zu stellen.

Doris Anzengruber teilte ihre Beobachtungen als Leiterin der Caritas Sozialberatung in Wien. Die Zahl der Menschen, die sich in finanzieller und sozialer Not befinden, nehme dramatisch zu. Sie sehe zu viele Menschen vor der Frage, ob sie für Essen oder Heizen Geld ausgeben können. Mehr als jeder dritte Haushalt könne die Durchschnittsausgaben nicht decken, viele Menschen würden sich das erste Mal an die Sozialberatung wenden, so Anzengruber. So seien nunmehr in den Wärmestuben Kinderspielecken eingerichtet worden, weil auch immer mehr Familien dorthin kommen würden. Armut und Armutsgefährdung erreiche eine neue Dimension und dränge immer mehr in die Mittelschicht vor. Eine Umfrage habe ihr zufolge bestätigt, dass mehr als die Hälfte der Bevölkerung besorgt sei, die Wohnung im Winter nicht warm halten zu können. Die Strompreisbremse als Maßnahme ist aus Sicht von Anzengruber wichtig. Es müsse aber, gekoppelt mit Energieeffizienzmaßnahmen, auch etwas für die Wärme getan werden – etwa auch ein Abschaltstopp, damit Menschen ihre Verträge nicht verlieren. Darüber hinaus brauche es eine Erhöhung der Sozialhilfe und eine Reform des Arbeitslosengelds.

Monika Köppl-Turyna, Direktorin von EcoAustria, hob die zentrale Rolle der Elementarpädagogik im Bildungssystem als Teil der Daseinsvorsorge hervor. In Österreich gebe es hier eine unzufriedenstellende Situation. Etwa sei das Ausmaß der Betreuung in Vollzeit in Österreich im EU-Schnitt besonders niedrig. Der Aspekt wäre aber ihr zufolge sowohl für die Arbeitsmarktpartizipation von Frauen, als auch für die Bildung der Kinder besonders wichtig. Es gelte aus ihrer Sicht nach wie vor, in diesen Bereich zu investieren. Was den Finanzausgleich betrifft, brauche es Köppl-Turyna zufolge eine grundlegende Reform, um die kommunalen Finanzen auf Dauer auf festere Beine zu stellen, also einen Finanzausgleich, mit dem die Daseinsvorsorge treffsicher unterstützt werden kann.

STATEMENTS VON MANDATAR:INNEN ZU VIELSCHICHTIGEN THEMEN

In seinem Statement hob etwa ÖVP-Bundesrat Harald Himmer die stabilisierenden Maßnahmen der Bundesregierung in den Krisen hervor. Auch jede einzelne Gemeinde habe ihren Beitrag geleistet. Was die Umverteilung an die Ärmsten betrifft, würde sich jeder dazu bekennen. Es dürfe aber im unteren Einkommensbereich nicht dazu führen, dass jene „die Dummen“ seien, die eine volle Arbeitsleistung erbringen.

Stefan Schennach sprach seitens der SPÖ-Bundesratsfraktion demgegenüber von einer fehlenden Milliarde zur Finanzierung der Gemeinden. Mit der Daseinsvorsorge würden Städte und Gemeinden zusätzlich lokale Nachfrage und Arbeitsplätze schaffen. In Wien gelte es aus seiner Sicht, den sozialen Wohnbau als Wert an sich auf EU-Ebene außer Streit zu stellen.

FPÖ-Bundesrat Josef Ofner kritisierte die Regierung, dass sie etwa in der Corona-Krise die Menschen gespalten habe. Die politischen Fehleinschätzungen haben aus seiner Sicht mit Corona begonnen und ziehen sich über die Sanktionspolitik im Ukraine-Krieg bis hin zur Asyl- und Migrationspolitik. Demgegenüber hätten die Gemeinden in Krisenzeiten von Beginn an funktioniert und dafür gesorgt, dass die Menschen versorgt und informiert werden.

Bundesrat Adi Gross ging seitens der Grünen auf die Herausforderungen der Klimakrise ein. Auf die einkommensschwachen Gruppen sei hier besonderes Augenmerk zu legen, zumal diese im doppelten Dilemma seien. Zugleich gehe aber wirksamer Klimaschutz mit einer hohen Qualität der Grundversorgung einher, etwa durch Nahversorgung. Klimaschutz und Sozialpolitik seien kein Widerspruch, sondern eine Chance für mehr soziale Gerechtigkeit, so Gross. Die Sicherstellung der Grundversorgung sei dafür allerdings eine Bedingung.

Breit gestreut waren anschließend auch die Themen in der weiteren Debatte, bei denen sich von den Teilnehmer:innen zahlreiche Mandatar:innen der verschiedenen politischen Ebenen äußerten.

So meinte beispielsweise Veronica Kaup-Hasler, Wiener Stadträtin, dass es in multiplen Krisen umso mehr eine Pflege des Vertrauens in demokratische Strukturen und eine Orientierung an der Sache brauche. ÖVP-Bundesrätin Elisabeth Wolff betonte unter anderem, dass der Strukturwandel in Österreich so zu begleiten sei, dass der Wohlstand selbst in Zeiten der Krise gesichert ist. Bundesrat Ingo Appé seitens der SPÖ hob als Bürgermeister etwa hervor, dass die Gemeinden auch in Krisen ein verlässlicher Partner vor Ort seien. SPÖ-Nationalratsabgeordnete Petra Oberrauner bezog sich auf die Digitalisierung und die zunehmende Bedeutung einer verlässlichen Infrastruktur. Andreas Schieder, Europaabgeordneter der SPÖ, betonte unter anderen die hohe Bedeutung der Daseinsvorsorge. Auf europäischer Ebene seien Liberalisierungsschritte oft nicht sehr hilfreich gewesen, wo es aus seiner Sicht ein Umdenken brauche.

Die Enquete wurde live in der Mediathek des Parlaments übertragen und ist dort als Video-on-Demand abrufbar. (Schluss Enquete des Bundesrats) mbu

HINWEIS: Fotos von dieser Enquete finden Sie auf der Website des Parlaments.

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