TIROLER TAGESZEITUNG, Leitartikel: „Politik ohne Leidenschaft“, von Michael Sprenger

Ausgabe vom Freitag, 10. Februar 2023

Seit Pamela Rendi-Wagner zur SPÖ-Vorsitzenden gewählt worden ist, verspürt sie aus der eigenen Partei Gegenwind. Sie hält ungebrochen mit Steherqualitäten dagegen. Doch das hilft ihr letzten Endes nicht. 
  Max Weber hat der Nachwelt ein Standardwerk hinterlassen. Nicht nur für die Politikwissenschaft. Ob allerdings „Politik als Beruf“ von unseren aktiven Politikerinnen und Politikern gelesen wurde, kann hier nicht beantwortet werden. Aber sie nehmen gerne Anleihe aus dem Essay aus dem Jahr 1919, wenn auch nicht klar ist, ob sie wissen, dabei Weber zu zitieren. Also müssen sich Politiker rechtfertigen, warum dieses und jenes Vorhaben immer noch nicht umgesetzt wurde oder es eben mühsam sei, für ihre Anliegen eine Mehrheit zu finden, dann hören wir das zum Stehsatz verkommene berühmte Weber-Zitat: Politik sei „ein starkes langsames Bohren von harten Brettern“. Pamela Rendi-Wagner weiß mit Blick auf ihre Tätigkeit als SPÖ-Vorsitzende, was damit gemeint ist. Seit die erste Frau an die Spitze der Sozialdemokratie gewählt worden ist, erlebt sie parteiinternen Gegenwind. Sie ging deshalb mutig in die Offensive und stellte unter allen Parteimitgliedern die Vertrauensfrage. Der so gewonnene Respekt war kein nachhaltiger. Monate später gipfelte ihre Wiederwahl am Parteitag in eine Streichorgie. Ihr Rücktritt wurde erwartet, doch Rendi-Wagner dachte nicht einmal daran – und glaubt weiter, das harte Brett noch zu durchbohren.

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