
39. Wiener Gemeinderat (4)
Mitteilung von Stadtrat Czernohorszky zum Thema „Die Wiener Demokratie im Wandel?! Krisen, Transformation und Chancen – wie gestalten wir die Zukunft der Wiener Demokratie gemeinsam?“
StR Jürgen Czernohorszky (SPÖ) meldete sich mit einer Mitteilung an den Wiener Gemeinderat zum Thema „Die Wiener Demokratie im Wandel?! Krisen, Transformation und Chancen – wie gestalten wir die Zukunft der Wiener Demokratie gemeinsam?“ Dabei umriss er einleitend die aktuellen großen Herausforderungen des politischen Systems und deren Auswirkungen auf die Zukunft der Demokratie. Czernohorszky hielt fest, dass die Gegenwart „von vielfältigen Krisen geprägt ist“. So würde die Gesellschaft etwa die Klimakrise, der Krieg in der Ukraine oder die globale Energiekrise beschäftigen. Auch die grassierende Teuerung und die wieder steigende Arbeitslosigkeit, würden für Unsicherheit sorgen. Man könne außerdem in solch einer Situation beobachten, dass die Bevölkerung immer weniger Vertrauen in die repräsentative Demokratie und die politischen Parteien habe. Die Politik werde nicht mehr als Unterstützerin gesehen, so Czernohorszky weiter.
Für Czernohorszky habe das mehrere Ursachen. So gehe etwa auf der sozialen Ebene die Schere zwischen Arm und Reich seit Jahren weiter auseinander. „Armut wird plötzlich eine reale, akute Gefahr für viele“, sagte der Stadtrat. Diese Ungerechtigkeiten würden bei diesen Menschen Zweifel an der Handlungs- und Lösungsfähigkeit der Politik aufkommen lassen. Das passiere vor allem dann, wenn die Politik nicht in der Lage sei, Antworten auf die drängenden Probleme der Menschen zu finden. Czernohorszky sprach von einem „akutem Vertrauensverlust“. Dies zeige sich auch dadurch, dass Menschen seltener an politischen Entscheidungsprozessen teilnehmen würden, je schlechter ihre soziale Lage sei. So werde aus sozialer Ungleichheit auch politischer Ungleichheit. Die Wiener Fortschrittskoalition habe sich entschlossen, sich diesem Thema verstärkt anzunehmen, wissentlich des begrenzten Handlungsspielraums auf Landesebene. Stadtrat Czernohorsky formulierte das Ziel wie folgt: „Wir möchten möglichst viele Menschen, die von den Entscheidungen der Wiener Politik betroffen sind, in die Entscheidungsfindung miteinbeziehen.“ In diesem Kontext warnte er vor der anderen Möglichkeit: Je leiser die Stimmen der Vielen sind, desto lauter seien jene der Feind*innen der Demokratie. Dazu führte Czernohorszky „Nationalismus“ und den „Ruf nach starken Männern“ als Beispiele auf. Dagegen wolle man in Wien vorgehen.
Für Czernohorsky sei die demokratische Mitbestimmung als essentiell für eine funktionierende Demokratie. Viele Menschen seien von dieser ausgeschlossen, vor allem aufgrund ihrer Herkunft. Bei den Gemeinderatswahlen seien jede dritte Wienerin und jeder dritte Wiener im wahlfähigen Alter nicht wahlberechtigt und damit im politischen Geschehen nicht repräsentiert. Es werde noch dramatischer, wenn man sich bestimmte Berufsgruppen anschaue: in Wien seien 60 Prozent der Arbeiter*innen von den Wahlen ausgeschlossen. Unter den Hilfsarbeiter*innen würden sogar 82 Prozent nicht wählen können. Czernohorsky kritisierte deshalb erneut das restriktive Staatsbürgerschaftsgesetz Österreichs und kündigte an, sich für ein modernes Staatsbürgerschaftsrecht einzusetzen. Demokratie und Mitbestimmung sei besonders auf der kommunalen Ebene wichtig. Denn gerade dort, im direkten Wohn- und Lebensumfeld, werde laufend über den Alltag der Menschen entschieden – ob Freizeitflächen, Verkehr, Projekte zu Integration oder Umweltschutz. In Wien würden dabei bereits verschiedenste Wege genutzt, Menschen einzubinden. Es gebe, laut Czernohorszky, in Wien eine „starke partizipative Tradition“, diese müsse weiter ausgebaut werden. Dabei müsse man mit Innovationen vorangehen und Sachen ausprobieren. Nur so könne die Demokratie noch weiter gestärkt werden.
In einem Rückblick auf die vergangene, mit Expert*innen besetzte, Enquete sprach der Stadtrat von einem „fruchtbaren und motivierenden Austausch“. „Ich freue mich sehr, dass es in dieser konstruktiven Auseinandersetzung auch gelungen ist, Empfehlungen für den Ausbau der Demokratie zu formulieren.“ Die Enquete sei ein starker Auftakt gewesen für den notwendigen Prozess, die Beteiligung von Bürger*innen in Wien zu stärken. Die zentralen Empfehlungen würden um vier Bereiche kreisen: Ressourcen, Rahmenbedingungen oder gesetzliche Grundlagen, Beteiligungskultur & Demokratiestrategien sowie insbesondere um den Aufbau einer zentralen Anlauf-, Koordinierungs- und Vernetzungsstelle für Demokratie und Beteiligung. Letztere bezeichnete Czernohorszky als Demokratie-Hub. „Mein Ziel ist es, einen solchen Demokratie-Hub bis zum nächsten Jahr zu schaffen und damit einen Ort zu haben, an dem wir die Zukunft der Demokratie in Wien weiterdenken und an dem wir Strategien ausarbeiten, wie wir zur einer stärkeren Beteiligungskultur in der Gesellschaft kommen und was es braucht, um diese auch langfristig zu etablieren. Ein Ort, an dem wir die vorhandenen Kompetenzen vernetzen und zusammenbringen.“
Czernohorszky sprach die Einladung an alle politischen Mitbewerber aus, mitzumachen, sich für mehr Demokratie als Antwort auf die vielen Herausforderungen der aktuellen Zeit einzusetzen. Er kündigte auch an, dass sich Wien als „Europäische Demokratiehauptstadt“ bewerben wolle und freue sich auf „rege Diskussionen“ auch im Rahmen des Gemeinderates. Es sei in der Vergangenheit schon gelungen, Lösungen und Verbesserungen für die Menschen zu erarbeiten. Gemeinsam mit den Menschen in Wien werde es auch gelingen, eine Stadt gestalten, „die auch in zwanzig Jahren die Stadt mit der höchsten Lebensqualität ist“, so Czernohorszky abschließend.
GR Mag. Dietbert Kowarik (FPÖ) hielt fest, dass er seit kurzem Mitglied des zuständigen Ausschusses sei und darum noch nicht an der Enquete teilnehmen haben können. Kritisch hinterfragte der Gemeinderat die konkreten Projekte. Er sehe hier bisher eher „Symbolpolitik“. „Unsere Demokratie“ sei die beste Möglichkeit, die Gesellschaft zu organisieren, trotz allen Schwächen, die es gebe. Er verortete einen Vertrauensverlust der Bevölkerung in die Politik und verwies hierbei auf die schlecht umgesetzte Vorsitzenden-Auszählung der SPÖ. Beispiele wie diese würden zum Vertrauensverlust in demokratische Vorgänge beitragen. Gerade in Österreich verändere sich die Gesellschaft rasant, indem verstärkt Personen „in unser Land geholt werden, die mit unserer Demokratie nichts zu tun haben wollen“. Krisen wie die Corona-Krise hätten gezeigt, dass man auf Grundrechte und Meinungsfreiheit achtgeben müsse. „Eine andere Meinung bedeutet noch lange nicht, dass man die Demokratie gefährden will“, so Kowarik. Das Staatsbürgerschaftsrecht biete auch jetzt schon die Möglichkeit nach einer angemessenen Zeit an Wahlen teilnehmen zu können. „So schlecht ist unser Staatsbürgerschaftsrecht nicht. Ich erwarte mir, dass man sich auch darum bemüht, wenn man Teil dieser Gesellschaft werden will“, betonte Kowarik. Außerdem müsse man auch innerhalb der Stadtverwaltung Partizipation leben, zum Beispiel bei Anfragebeantwortungen. Hier erwarte sich Kowarik konkrete Antworten auf Fragestellungen. Auch die Aufbereitung von Akten seien für Gemeinderäte oft zu verkürzt und Regeln für Untersuchungskommissionen mangelhaft. Abschließend forderte Kowarik, dass das Recht auf Teilnahme der Bürgerinnen und Bürger in der Stadtverfassung verankert werden müsse. Auch auf Bezirksebene könne man für mehr Mitbestimmung sorgen, indem man zum Beispiel verpflichtende Volksabstimmungen für Projekte in Bezirken umsetze.
GR Thomas Weber (NEOS) bezeichnete die Enquete als „sehr gelungen“. Erkenntnis der Enquete sei, dass die Antwort auf alle Herausforderung „mehr Demokratie“ sei. Ob beim Thema Stadtentwicklung, Klimaschutz, Kinder- und Jugendarbeit. Es betreffe jedes Politikfeld und bei vielen Themen könne man als Kommune aktiv werden und mehr Beteiligung schaffen. Demokratie sei keine Selbstverständlichkeit, sondern viel Arbeit und müsse gelernt und vermittelt werden. Hier biete es sich an, bei Kindern und Jugendlichen anzusetzen. Er betonte, dass diese Enquete ein Auftakt zu einem großen Prozess gewesen sei, der zusammen mit Bürger*innen weitergeführt werde. Im Koalitionsabkommen seien viele Maßnahmen bereits in Planung, etwa der Ausbau des Partizipationshubs, partizipative Klimabudgets, wienweite Kinder-und Jugendparlamente, Bezirksbefragungen oder Bürger*innen-Fragestunden. Gemeinsam arbeite man an einen „Schub für Mitbestimmungsmöglichkeiten“. Weber hielt dazu abschließend fest: „Je mehr Menschen sich in der Demokratie einbringen, umso besser werden die Ergebnisse der Politik sein“.
GRin Dr. Jennifer Kickert (GRÜNE) äußerte Skepsis gegenüber den neuen Plänen, denn bei vielen Projekte bleibe es bei Ankündigungen. So sei der Partizipationshub bereits vor vier Jahren angedacht worden. Kickert würde sich sehr freuen, wenn dieser nun verwirklicht werde. Fest stehe: „Demokratie wird auf allen Ebenen gebraucht“. Die Empfehlungen der Enquete für mehr Mitbestimmung der Bevölkerung liegen zwar noch nicht abschließend vor, jedoch würde sich damit gut arbeiten lassen. Kickert bezog sich hierzu auf die Forderung, Verantwortungskultur in der Verwaltung zu etablieren oder Beteiligung zuerst strukturell zu verankern. Das sei eine große Aufgabe für die nächsten Jahrzehnte, so Kickert. Zu befürchten sei, dass viele Forderungen gestellt, aber keine konkreten Schritte gesetzt werden. Man solle mehr von den Erfolgen anderer Städte lernen, wie zum Beispiel von Barcelona, das eine Plattform ins Leben gerufen habe, auf der Menschen niederschwellig Vorschläge und Ideen einbringen könnten. Die Verwaltung könne so dadurch rasche entscheiden, welche Projekte umgesetzt werden können.
GRin Sabine Keri (ÖVP) hielt fest, dass Bürgerbeteiligungsprojekte in Wien nicht partizipativ seien, weil es keine echte Wahlmöglichkeit gebe. Die Freiheit von Gestaltung – zum Beispiel von öffentlichen Plätzen – sehe Keri sehr oft nicht. Viele Beteiligungsprojekte wie das Klimateam oder Lokale Agenda würden strukturell erhalten werden und damit auf Kosten der Maßnahmen, die umgesetzt werden könnten, gehen. Es stelle sich die Frage, ob diese Strukturkosten nicht besser gebündelt werden müssten. Keri wünsche sich den Mut für mehr klare Formulierungen, auch beim Petitionsausschuss. Es müsse möglich sein, zu sagen, warum man ein Projekt nicht umsetzen könne oder nicht der Meinung de*r Petitent*innen Folge leisten könne. Sie werde dem Antrag nicht zustimmen, da es an klaren Regeln für den partizipativen Prozess fehle und die Enquete-Empfehlungen noch nicht vorliegen würden. Weiters hinterfragte Keri die Bewerbung als Demokratie-Hauptstadt, da ein ehemaliger Bundesgeschäftsführer der NEOS nun CEO der European Capital of Democracy (ECoD) sei. „Hier wird mit zweierlei Maß gemessen“ und man könne dem Antrag nicht zustimmen.
GR Mag. Stephan Auer-Stüger (SPÖ) betonte, dass es mehr Demokratie, Partizipation und Mitbestimmung brauche, denn mehr Demokratie sei ein Menschenrecht und stehe allen Menschen in dieser Stadt zu. „Wir müssen die laute Stimme der Leisen sein, damit diese nach Reformschritten selbst für ihre Interessen auftreten können.“ Das fördere auch das gemeinschaftliche Zusammenleben. Die Demokratie stehe massiv unter Druck, auch Österreich habe an der Qualität der Demokratie verloren. Das strukturelle Ausschließen von gesellschaftlichen Gruppen müsse beseitigt werden. Es gebe gut erprobte Partizipationsprojekte wie das Wiener Klimateam, Grätzl-Initiativen, die Kinder- und Jugendwerkstatt und vieles mehr. An diesen Möglichkeiten zur Teilnahme werde man weiterarbeiten. Der Demokratie-Hub soll die zentrale Anlaufstelle für Mitbestimmung werden. Auch die gesetzliche Prüfung der Verankerung von Partizipationsmöglichkeiten in der Verfassung werde nun geprüft. Auer-Stüger gehe es darum, dass die Mitbestimmung der Bürger*innen unabhängig davon sein müsse, wie alt man ist, wen man liebt, wieviel man verdient oder woher man kommt. Es gehe darum, mehr zu tun, als bloß zum Mitbestimmen einzuladen. Abschließend hielt Auer-Stüger fest, dass Österreich das restriktivste Staatsbürgerschaftsrecht Europas und die geringste Einbürgerungsquote habe. „Ein Drittel aller Wiener*innen dürfen nicht wählen, weil sie keine Staatsbürgerschaft haben und obwohl diese Menschen hier leben, seit langem hier arbeiten und Steuer zahlen. Dieser Zustand ist nicht hinnehmbar, das müssen wir ändern!“. So habe sich geschichtlich das Wahlrecht auch in Österreich immer weiterentwickelt, nun brauche es wieder eine Anpassung, denn: „Alle, die hier wohnen und leben, sollen hier wählen können, sie müssen das Recht dazu haben“, schloss Auer-Stöger. (Forts.) kri/kro
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