Lebhafter Austausch im EU-Ausschuss des Bundesrats über die Deklaration zur Ausrichtung der europäischen Sozialpolitik

Auch die Europäischen Datenbank für Medizinprodukte Eudamed und die Fazilität für Flüchtlinge in der Türkei beschäftigten den Ausschuss

Eine Deklaration zur Zukunft der Sozialpolitik in Europa, die von Österreich nicht unterschrieben wurde, stand heute im Mittelpunkt einer Debatte im EU-Ausschuss des Bundesrats. Zudem berieten die Mandatar:innen über die Einführung der Europäischen Datenbank für Medizinprodukte Eudamed, die neuerliche Verlängerung von Übergangsbestimmungen für bestimmte In-vitro-Diagnostika sowie über einen Bericht über das EU-Türkei-Flüchtlingsabkommen.

Ein von der FPÖ im Ausschuss eingebrachter Antrag auf Stellungnahme, in dem die Freiheitlichen eine Beendigung der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei sowie einen effektiven und lückenlosen Grenzschutz an der EU-Außengrenze zur Türkei fordern, fand keine Mehrheit unter den Mandatar:innen.

EUROPÄISCHE SOZIALPOLITIK: DEBATTE ÜBER DIE DEKLARATION VON LA HULPE

Im März legte der belgische EU-Ratsvorsitz den Entwurf einer unverbindlichen politischen Erklärung zur Zukunft der Europäischen Säule sozialer Rechte vor. In der Präambel enthält die Deklaration ein Bekenntnis zum Europäischen Sozialmodell und unterstreicht die Bedeutung der sozialen Marktwirtschaft in Europa. Die Erklärung bekräftigt, dass wirtschaftlicher und sozialer Fortschritt miteinander verknüpft sind und die Europäische Säule sozialer Rechte Teil umfassenderer Bemühungen zum Aufbau eines integrativen und nachhaltigen Wachstumsmodells ist. Sie stellt einen Beitrag zur Strategischen Agenda der EU für die Jahre 2024-2029 dar und wurde Mitte April als sogenannte “La Hulpe-Deklaration” verabschiedet, benannt nach einem Ort in Belgien. Von Österreich wurde die Erklärung nicht unterzeichnet, da keine Zustimmung aus dem Arbeits- und Wirtschaftsministerium erfolgte. Auch Schweden sowie der Europäische Arbeitgeber- und Industrieverband “BusinessEurope” sahen von einer Unterzeichnung der Erklärung ab.

Es habe im Hinblick auf diese Deklaration in Österreich keine innerstaatliche Einigung gegeben, erklärte eine Expertin des Sozialministeriums. Sind sich die betroffenen Ministerien nicht einig, dann sei eine einseitige Zustimmung eines Ministeriums nicht möglich, betonte sie. Gemeinsam mit einer Expertin des Arbeitsministeriums legte sie den Ausschussmitgliedern die inhaltlichen Schwerpunkte der Erklärung dar. Als relativ neues Thema enthalte die Erklärung auch Punkte zu Wohnungslosigkeit und Obdachlosigkeit, erklärte sie.

Aus seiner Sicht gebe es keinen Grund, dass Österreich gegen diese Erklärung sei, denn diese sei nicht “wahnsinnig innovativ” und halte lediglich den derzeitigen Stand fest, meinte ein Experte der Arbeiterkammer.

Er sei von der Sozialpartnerschaft überzeugt, da diese auf Konsens ausgerichtet sei, sagte Günther Ruprecht (ÖVP/St). Im Hinblick auf die La Hulpe-Deklaration brauche es noch weitere Gespräche, solange noch kein Konsens bestehe, betonte er. Zudem müsste sichergestellt werden, dass die Deklaration keine neuen “Bürokratiemonster” hervorbringe.

Eine schlüssigen Erklärung dafür, warum Österreich diese Deklaration nicht unterzeichnet habe, forderte Stefan Schennach (SPÖ/W). Claudia Arpa (SPÖ/K) unterstrich den unverbindlichen Charakter der Deklaration und bezweifelte, dass diese zu zusätzlicher Bürokratie führen würde.

Der Sozialminister habe sich bereits hinreichend klar zu diesem Thema geäußert, indem er es als “peinlich” und “traurig” bezeichnet habe, dass Österreich die Deklaration nicht unterschrieben habe, betonte Adi Gross (Grüne/V). Aus Sicht von Gross gehe es bei dieser Deklaration um genau das, was die EU ausmache und wodurch sie sich “von anderen Blöcken” unterscheide.

Da Österreich sehr hohe soziale Standards habe, könne er die “Aufgeregtheit” darüber, dass Österreich diese unverbindliche Deklaration nicht unterzeichnet habe, nicht verstehen, meinte Harald Himmer (ÖVP/W).

EINFÜHRUNG DER DATENBANK EUDAMED SOLL BESCHLEUNIGT WERDEN

Auf die neuerliche Verlängerung der Übergangsbestimmungen für bestimmte In-vitro-Diagnostika zielt ein neuer Verordnungsvorschlag ab. Weiters sieht der Vorschlag die schrittweise Einführung und damit die beschleunigte und verpflichtende Inbetriebnahme bereits fertiggestellter Module der Europäischen Datenbank für Medizinprodukte Eudamed vor. Außerdem sollen Hersteller:innen verpflichtet werden, über Lieferunterbrechungen bei kritischen Medizinprodukten zu informieren. Österreich unterstützt diese Vorhaben, heißt es aus dem Gesundheitsministerium. Aus Sicht der Arbeiterkammer sei insbesondere die Meldeplicht von Lieferunterbrechungen bei Medikamenten ein wichtiges Anliegen, unterstrich ein im Ausschuss anwesender AK-Experte.

Auf Nachfrage von Andrea Eder-Gitschthaler (ÖVP/S) und Adi Gross (Grüne/V), warum eine erneute Verlängerung der Übergangsbestimmungen für In-vitro-Diagnostika nötig sei, legte ein Experte des Gesundheitsministeriums dar, dass vor allem die Pandemie die Umsetzung einer im Jahr 2017 auf den Weg gebrachten Verordnung gebremst habe. Diese schreibe eine Zertifizierungspflicht für 80 Prozent der betroffenen Produkte vor, davor war die Zertifizierungspflicht nur für 8 Prozent der Produkte vorgesehen. Dies bedeute eine große Umstellung für die Hersteller:innen, zudem müssten die Zertifizierungsstellen nun wesentlich mehr Zertifikate ausstellen, was ein “Nadelöhr” darstelle, so der Experte. Auf die Frage von Sandra Böhmwalder (ÖVP/N) wie die Hersteller:innen mit der Situation umgehen, antwortete der Experte, dass diese stark auf eine Verlängerung der Bestimmungen gedrängt hätten.

Eine Übergangslösung sei wichtig, meinte Stefan Schennach (SPÖ/W) und wollte wissen, welche Maßnahmen die österreichische Bundesregierung zur Sicherstellung der Medikamentenversorgung setze. Zudem fragte er, ob der Standort des Biochemieunternehmens in Kundl für die Medikamentenherstellung gesichert sei. Der Experte des Gesundheitsministeriums wies darauf hin, dass auf nationaler Ebene eine Bevorratungsverordnung zur Verhinderung von Medikamentenengpässen auf Schiene gebracht worden sei. Das Biochemieunternehmen in Kundl sei ein weltweit agierendes Unternehmen, das massiv ausgebaut wurde. Man bemühe sich auf nationaler und europäischer Ebene, die Medikamentenproduktion wieder nach Europa zurückzuholen, betonte der Experte.

Die Verlängerung der Übergangsbestimmungen, auf welche der Verordnungsentwurf abziele, sei leider notwendig, meinte Karl-Arthur Arlamovsky (NEOS/W). Zudem sei es gut, wenn die neue Datenbank für Medizinprodukte Eudamed bald verpflichtend in Betrieb sei.

Ob Eudamed Unternehmen mit zusätzlicher Bürokratie belasten werde, wollte Andrea Eder-Gitschthaler (ÖVP/S) wissen. Eine Registrierungspflicht gab es bereits bisher, antwortete der Experte des Gesundheitsministeriums. Die Datenbank solle den notwendigen Überblick über aktuell verfügbare Medizinprodukte geben.

Claudia Arpa (SPÖ/K) fragte nach der Entwicklung von Strategien für den Fall möglicher neuer Pandemien. Der Experte des Gesundheitsministeriums verwies in diesem Zusammenhang auf die Schaffung neuer Institutionen wie der European Health Emergency Response Authority. Zudem werde versucht kritische Bereiche zu identifizieren und Lager für Medizinprodukte zu schaffen, um für mögliche neue Pandemien gerüstet zu seien.

7. JAHRESBERICHT ZUM EU-TÜRKEI-FLÜCHTLINGSABKOMMEN

2015 beschlossen die EU und ihre Mitgliedstaaten, ihr politisches und finanzielles Engagement für die Unterstützung der Türkei bei der Aufnahme von Flüchtlingen zu verstärken. Um dem nachzukommen, richtete die EU-Kommission 2016 die Fazilität für Flüchtlinge in der Türkei (FRIT) ein. Die FRIT wird zur Finanzierung von Maßnahmen in den Bereichen humanitäre Hilfe und Entwicklungshilfe eingesetzt. Laut dem 7. FRIT-Jahresbericht (Berichtszeitraum Februar 2022 bis Februar 2023) wurden von den in zwei Tranchen vertraglich vergebenen 6 Mrd. € bis Ende 2022 insgesamt 5 Mrd. € ausbezahlt. Mit mehr als 2,83 Mrd. € war die Deckung von Grundbedürfnissen und die sozioökonomische Unterstützung der größte Posten. Rund 1,5 Mrd. € wurden für Bildung bereitgestellt. 800 Mio. € gingen an den Schwerpunktbereich Gesundheit. Die Laufzeit der finanzierten Projekte endet spätestens Mitte 2025, wobei viele Projekte der ersten Tranche bereits abgeschlossen sind und die verbleibenden Projekte früher abgeschlossen werden sollen. Insgesamt habe die EU die Türkei bisher mit knapp 11 Mrd. € an Flüchtlingshilfe – im Rahmen von FRIT sowie durch weitere EU-Mittel – unterstützt, informierte ein Vertreter des Außenministeriums im Ausschuss. Der österreichische Anteil habe sich dabei bis 2023 auf 70 Mio. € belaufen. Die Mittel würden teilweise direkt an Hilfsorganisationen ausbezahlt werden und nicht an die türkische Regierung gehen.

Migration sei einer der wichtigsten Bereiche für eine umfassende Kooperation Österreichs und der EU mit der Türkei, heißt es seitens des Außenministeriums. Die Türkei habe mit der Aufnahme von mehr als 3 Mio. syrischen Flüchtlingen enorme Last geschultert und dabei großzügige EU-Unterstützung im Rahmen von FRIT erhalten. Eine neue Flüchtlingswelle wäre für die Türkei nicht verkraftbar und würde auch Europa treffen. Daher könnten die im Bericht formulierten nächsten Schritte zur Fortsetzung der Projekte für Flüchtlinge und die Aufnahmegemeinschaften befürwortet werden, so die Position Österreichs.

UNTERSCHIEDLICHE STANDPUNKTE DER BUNDESRÄTE

Markus Leinfellner (FPÖ/St) sprach sich gegen das EU-Türkei-Abkommen aus. Die Türkei gehöre nicht zum europäischen Kulturkreis und sei kein verlässlicher Partner im Kampf gegen “illegale Migration”, sondern setze diese als Druckmittel gegen Europa ein. Trotzdem würde die EU die Türkei im Rahmen des Abkommens mit Milliardenzahlungen “überschütten”. Leinfellner brachte dazu einen Antrag auf Stellungnahme ein, der bei der Abstimmung in der Minderheit blieb. Darin fordert die FPÖ die Bundesregierung auf, sich auf europäischer Ebene für einen effektiven und lückenlosen Grenzschutz an der EU-Außengrenze zur Türkei sowie für die Beendigung der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei einzusetzen.

Stefan Schennach (SPÖ/W) sah das Abkommen aus einem anderen Blickwinkel kritisch. Es handle sich um keine nachahmenswerte Vereinbarung, da die Türkei die Flüchtlinge oft schlecht versorge und diese nicht im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention anerkenne. In den wenigen Lagern würden oftmals “erbärmliche Zustände” herrschen, die türkischen Bordelle seien “voll mit jungen Frauen aus Syrien” und Kinder müssten in der Landwirtschaft arbeiten anstatt eine Schule zu besuchen. Schennach ortete “geschönte Berichte” und forderte mehr Engagement bei der Integration und sozialen Fürsorge für Flüchtlinge in der Türkei.

Adi Gross (Grüne/V) sprach von einer “unglücklichen Vereinbarung”. “Um uns die Flüchtlinge vom Leib zu halten”, würden sich diese in einer perspektivlosen und traurigen Situation in den Lagern in der Osttürkei befinden. Trotz “hunderter Kontrollen” würden dort große Mängel und Probleme vorherrschen. Was den Antrag der FPÖ betrifft, unterstrich Gross, dass die Türkei mit der Einrichtung von Flüchtlingslagern eigentlich im Sinne der FPÖ handle. Zudem stehe ein EU-Beitritt der Türkei nicht zur Debatte.

Ähnlich sah das der Wiener NEOS-Mandatar Karl-Arthur Arlamovsky. Obwohl man mit dem EU-Türkei-Flüchtlingsabkommen schlechte Erfahrungen gemacht habe, sei eine ähnliche Vereinbarung mit Ägypten geplant, um Flüchtlinge davon abzuhalten nach Europa zu gelangen.

Die Türkei habe eine wichtige Aufgabe bei der Versorgung von Flüchtlingen übernommen, könne aber nicht wie der heimische Sozialstaat die gleichen Leistungen zur Verfügung stellen, betonte Ferdinand Tiefnig (ÖVP/O). In Bezug auf die ausgesetzten Beitrittsverhandlungen hielt Harald Himmer (ÖVP/W) fest, dass solange die ÖVP in der Bundesregierung sei, es keinen EU-Beitritt der Türkei geben werde. (Schluss) bea/med

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