
TIROLER TAGESZEITUNG „Leitartikel“ Montag, 19. November 2018, von Michael Sprenger: „Langsame Rückkehr“
Innsbruck (OTS) – Nach dem Rausflug aus dem Nationalrat üben die
Grünen den Neustart. Die Ausgangslage für ein Comeback bei der
Europawahl ist günstig. Das hat viel mit Werner Kogler zu tun, aber
auch mit dem Zustand der Koalition und der SPÖ.
Ein Jahr lang, als alles in Trümmern lag, viele Grüne in Deckung
gingen und versuchten, von der Bildfläche zu verschwinden, versuchte
sich Werner Kogler als politischer Masseverwalter. Tiefe Resignation
und fünf Millionen Euro Schulden – mehr war da nicht mehr, als Kogler
interimistisch den Haufen übernahm. Nach dem harten Aufprall mussten
Mitarbeiter entlassen, die Klubräumlichkeiten aufgekündigt werden.
Sollte das grüne Projekt, wenige Monate nach dem Einzug von Alexander
Van der Bellen in die Hofburg, so dramatisch zu Ende gehen?
Jetzt ist der interimistische Parteichef zum Bundessprecher
gewählt worden. Mit der Wahl Koglers kam auch die Zuversicht zurück.
Dies ist zum einen dem Kampfeswillen des 57-jährigen Steirers
geschuldet, der nicht daran denkt, aufzugeben. Die Landtagswahlen im
Winter und Frühjahr verliefen mit Ausnahme von Kärnten nicht so
desaströs wie befürchtet. Auch das gab Hoffnung. Und dann war da noch
die Innsbrucker Gemeinde- und Bürgermeisterwahl, die die Grünen mit
Georg Willi sensationell gewonnen haben.
Diesen Aufwind will Kogler für das Wahljahr 2019 nützen. Er selbst
will die Grünen als Spitzenkandidat in die Europawahlen im Mai
führen. Dabei könnten die Grünen ein starkes Lebenszeichen abgeben.
Dies galt vor wenigen Wochen noch keineswegs als ausgemacht. Jenen
Wochen, in denen SPÖ-Vorsitzender Christian Kern noch über ein
breites linksgrünliberales Bündnis für die Europawahl nachgedacht
hatte. Doch mittlerweile ist Kern Geschichte, und seine
europapolitisch richtige Idee wurde fallen gelassen.
Kogler nützte dies für sich aus – und brachte sich sogleich als
Spitzenkandidaten für die Europawahl in Stellung, als Michel Reimon
verkündete, nicht mehr antreten zu wollen.
Kogler sieht allerorten Wachstumspotenzial für seine Partei. Weil
es die Regie so will, wird in Salzburg zudem zwei Monate vor der
Europawahl der Gemeinderat und der Bürgermeister neu gewählt. Und da
könnte Martina Berthold schaffen, was Willi in Innsbruck schon
realisiert hat.
Damit nicht genug. Die SPÖ muss sich nach Kerns Abgang erst einmal
mühsam finden. Da schielen viele zu den Grünen.Zudem gibt es
Schwarze, die mit der türkisen Politik nichts am Hut haben. Für diese
Unzufriedenen könnten die Grünen ein Angebot sein. Und es warten noch
die Pilz-Wähler, die ihre Entscheidung vom Vorjahr korrigieren
möchten. Das schaut für ein Comeback nicht so schlecht aus.
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