
EU-Ratsvorsitz: JETZT ortet Tatenlosigkeit bei österreichischerRegierung
Ehemalige Liste Pilz bemängelt fehlende Antworten auf aktuelle Herausforderungen der EU
Wien (PK) – „Eine verpasste Chance“ hält JETZT der Regierung im
Zusammenhang mit dem EU-Ratsvorsitz vor, den Österreich noch bis
Jahresende innehat. „Inszenierung statt Inhalt“ präge die
Vorsitzführung unter der Ägide von Bundeskanzler Sebastian Kurz, hieß
es im Titel der heutigen Europastunde des Nationalrats , die
JETZT-Klubobmann Bruno Rossmann gemeinsam mit Europasprecherin Alma
Zadić namens ihrer Fraktion verlangt hatten. Sowohl Österreich als
auch der Europäischen Union entgingen derzeit zahlreiche
Möglichkeiten, neue Akzente zu setzen, etwa im Sozialbereich und in
der Klimafrage, so ihr harsches Urteil.
Bundeskanzler Sebastian Kurz hielt dem entgegen, die Kritik gehe ins
Leere. Österreichs Ratsvorsitz habe mit seinen Schwerpunkten von
Migration bis Wirtschaftswachstum wichtige Weichen gestellt, „die
positiven Wortmeldungen in Europa geben uns Recht“. Im Sozialbereich
sieht Kurz die Republik auf Erfolgskurs, soziale Missstände in
anderen EU-Mitgliedstaaten müssten von der dortigen Politik gelöst
werden. Die SprecherInnen von ÖVP und FPÖ bestätigten Kurz in den
Schwerpunktsetzungen und warfen den KritikerInnen vor, die
Ratsvorsitzführung gezielt schädigen zu wollen.
Unterstützung erhielten die JETZT-MandatarInnen in der Debatte nicht
nur von den anderen beiden Oppositionsparteien im Nationalrat – SPÖ
und NEOS -, sondern auch von der sozialdemokratischen
Europaabgeordneten Karin Kadenbach, die die Ratspräsidentschaft als
Selbstinszenierung der Regierung umschrieb. Ganz anders sieht Harald
Vilimsky, der für die FPÖ im EU-Parlament sitzt, das Vorgehen der
Regierung im Ratsvorsitz. Eingedenk der österreichischen Interessen
leiste sie auf europäischer Ebene hervorragende Arbeit. Othmar Karas,
Leiter der ÖVP-Delegation im Europaparlament und dessen
Vizepräsident, gab zu bedenken, der Erfolg einer Ratspräsidentschaft
lasse sich erst nach ihrem Ende bewerten. Maßgeblich dafür sei die
Professionalität der Verhandlungsführung in den Ratsarbeitsgruppen,
den Ministerräten und im Europäischen Rat.
Kurz: Ratspräsidentschaft hoch angesehen
Bundeskanzler Sebastian Kurz reagierte auf die Vorhaltungen der
Opposition mit dem Vorwurf, hier würden undifferenzierte
„Anpatzversuche“ getätigt. „Wir leisten als Ratsvorsitz eine
beachtliche Arbeit“, die Professionalität der Vorsitzführung bei
sämtlichen Sitzungen und Gesprächen der EU-Ratsgremien sei vom
EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker und vielen anderen
überaus gelobt worden. In allen Tätigkeitsfeldern habe man das Wohl
der gesamten EU inklusive Österreich im Auge, das gelte gerade für
den Asylbereich. Bei der Migration ist laut Kurz seit der
Flüchtlingskrise 2015 eine Trendwende eingetreten, der Zustrom von
MigrantInnen sei um 95% zurückgegangen, und es gebe heute im
Vergleich zu damals „deutlich weniger Tote im Mittelmeer“, betonte
Kurz. Beim EU-Afrika-Gipfel Anfang Dezember in Wien würden „auf
Augenhöhe“ Maßnahmen zur Verhinderung der Flüchtlingsströme erörtert,
um illegale Migration nach Europa abzuwenden. Gleichzeitig bekennt
sich Kurz zu einer Stärkung des Grenzschutzes durch Frontex.
Fortschritte zeigen sich Kurz zufolge auch im Umweltbereich, bei der
Vollendung des digitalen Binnenmarkts, bei den Verhandlungen zum
mehrjährigen EU-Finanzrahmen ab 2021 sowie bei den
Reformanstrengungen der Länder des Westbalkans zwecks EU-Annäherung.
Als größtes Thema des Vorsitzes sieht Kurz den geplanten Austritt des
Vereinigten Königreichs aus der EU, den Brexit, da ein Ausscheiden
der Briten ohne Abkommen für beide Seiten von großem Schaden sei,
viele Arbeitsplätze würden verlorengehen. Er selbst werde morgen
nochmals mit der britischen Premierministerin Theresa May besprechen,
wie ein derartiger „hard Brexit“ abgewendet werden kann. Darüber
hinaus misst Kurz der Antisemitismuskonferenz, die seit heute in Wien
im Rahmen des Ratsvorsitzes tagt, große Bedeutung bei.
JETZT: Ratsvorsitz desinteressiert an gemeinsamen Lösungen der
EU-Staaten
„Einiges läuft nicht so, wie wir uns das als glühende Europäer
vorgestellt haben“, erklärte Alma Zadić (JETZT) das Aufbegehren ihrer
Partei gegen die aktuelle EU-Ratspräsidentschaft. Deren Motto „Ein
Europa, das schützt“ umfasse nicht den sozialen Schutz, vielmehr
würden Maßnahmen für ein starkes soziales Fundament in Europa
unterminiert. Anstatt sich für den Erhalt der Kaufkraft in der
Bevölkerung einzusetzen, habe Sozialministerin Beate Hartinger-Klein
als „Bremse“ agiert und den Sozialministerrat letzten Oktober über
eine Arbeitsagentur gegen Lohndumping abgesagt.
„Wir müssen wachsam sein“, so Zadić, denn aus dem Ausland gebe es
schon negative Rückmeldungen zur Ratspräsidentschaft, besonders
hinsichtlich der Migrationspolitik. Mehrere Länder stellten sich
gegen die von der EU-Kommission beabsichtigte Aufstockung der
EU-Grenzschutzbehörde Frontex und auch Österreich als Ratsvorsitzland
strebe keine Entscheidung darüber an. „Wenn wir zusammenleben wollen,
dann müssen wir das europäische Familienleben ernst nehmen“, wandte
sich die Rednerin gegen die Bevorzugung nationaler Interessen, wie
sie die Regierung beispielsweise mit der Indexierung der
Familienbeihilfe hochhalte.
Zadićs Fraktionskollegen Bruno Rossmann und Peter Pilz warfen
Bundeskanzler Kurz ebenfalls vor, bei vielen wichtigen EU-Themen an
keinen Durchbruch zu arbeiten. Rossmann machte das an der Migration
fest, bei der er anders als Kurz keinen Systemwechsel erkennt. Ein
solcher würde einer gemeinsamen und solidarischen Einigung der
EU-Staaten bedürfen. Völlig ausgespart vom Ratsvorsitz würden die
Themen Sozial- und Klima-Union sowie echte Maßnahmen gegen die
Steuerflucht, zeigte sich Rossmann erbost. Bei der Digitalbesteuerung
erwartet er auch diesen Dezember keine Einigung und prophezeite das
„Ende der Finanztransaktionssteuer“ unter Finanzminister Hartwig
Löger. „Dieser Vorsitz hat sich wenig mit inhaltlichen Fragen
beschäftigt“, befand der JETZT-Budgetsprecher, in Brüssel kursiere
dazu der Begriff „Rastvorsitz“.
Nach Ansicht von Peter Pilz wird von der österreichen
Ratspräsidentschaft zum einen übrig bleiben, „dass Österreich fast
aus der Europäischen Sicherheitsfamilie ausgeschlossen worden wäre“,
wie er in Bezug auf den Skandal rund um das Bundesamt für
Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) meinte, wodurch die
heimischen Nachrichtendienste von Informationsflüssen aus anderen
Ländern abgeschnitten seien. Zum anderen habe sich die Regierung
während des Ratsvorsitzes einen Namen dadurch gemacht, den
UN-Migrationspakt abzulehnen. Obwohl sich die EU mit zahlreichen
Krisen konfrontiert sehe, resümierte Pilz, seien Kanzler Sebastian
Kurz und Vizekanzler Heinz-Christian Strache „nicht die
Feuerwehrleute, sondern die Brandbeschleuniger der europäischen
Krise“. Weder Österreich noch Europa gereiche dies zum Vorteil.
SPÖ: Soziale Dimension im Ratsvorsitz ausgeblendet
Von der Ankündigung im Vorfeld der Ratspräsidentschaft, gemeinsam für
die europäische Sache zu arbeiten, kann SPÖ-Mandatar Andreas Schieder
nichts erkennen. „Diese Selbstinszenierung der Regierung hat 120 Mio.
€ gekostet“, monierte Schieder, die anderen EU-Länder sähen die
Regierung Kurz dennoch als „Bremser“. Weiterhin ungelöst seien
nämlich wichtige Fragen zur sozialen Gerechtigkeit in der EU bzw. zum
Vorgehens gegen Lohndumping, zumal die dafür angedachte
Arbeitsbehörde der EU von der Regierung abgelehnt werde. Die
Digitalsteuer sei nicht einmal „ansatzweise weitergebracht“ worden,
ebenso wenig bemühe man sich ausreichend um das Schließen von
Steuerschlupflöchern, ungeachtet des eklatanten finanziellen Schadens
für die SteuerzahlerInnen.
Jörg Leichtfried (SPÖ) bestätigte Schieders Kritik, denn in seinen
Augen wird beim Leitmotiv des Vorsitzes, dem Schutz, an den falschen
Stellen angesetzt. Geschützt würden „ausschließlich die
Milliardenspekulanten“, sowie Scheinfirmen am Bau und die
Großagrarindustrie, angesichts des Widerstands der Regierung gegen
Förderobergrenzen, die landwirtschaftliche Industriebetriebe treffen.
Generell befand Leichtfried, anstatt Brücken im Sinne der europäische
Solidarität zu bauen, würden unter Österreichs Ratsvorsitz „Gräben
aufgerissen“ .
„Ein Europa, das schützt, stärkt und verteidigt“, habe
Kommissionspräsident Juncker schon 2016 bei seiner Rede zur Lage der
Union proklamiert, erinnerte Karin Kadenbach (SPÖ) und erläuterte,
die soziale Dimension und die Wahrung der Menschenrechte seien ihm
dabei wichtig gewesen. Die österreichische Regierung missachte diese
Aspekte in ihrem Ratsprogramm aber sträflich. Während Kadenbach den
MitarbeiterInnen aller Ressorts ein starkes Engagement bei der
Organisation des Vorsitzes attestierte, warf sie den
Regierungsmitgliedern vor, den Ratsvorsitz vor allem zur
Selbstdarstellung zu nutzen. „Man muss aber wissen, dass man in der
Mannschaft mit den zwölf goldenen Sternen spielt“, appellierte sie
mit Referenz an das EU-Banner für mehr Teamgeist. Inhaltlich werde
von der Regierung Kurz nichts geliefert, die Ratspräsidentschaft
insgesamt sei daher eine „Schande“.
NEOS: Nationalismus schwächt die EU
„Sachliche Kritik an der Ratspräsidentschaft“ müsse gehört werden,
hielt NEOS-Klubobfrau Beate Meinl-Reisinger in Richtung Regierung und
Koalitionsparteien fest. Immerhin biete der Vorsitz ein „defensives,
unambitioniertes, überfordertes und nationalistisches“ Bild. Die
Linie sei, vermutete Meinl-Reisinger, sich vom europäischen Gedanken
zu verabschieden, habe die Regierung doch ihre nationale Politik auf
die europäische Ebene gehoben. Themen wie Klimaschutz und eine
gemeinsame EU-Verteidigung würden dabei kaum angetastet.
Claudia Gamon (NEOS) konzedierte, es habe „recht ambitionierte Ziele“
vor der Präsidentschaft gegeben, von einer gemeinsamen
Migrationspolitik bis hin zum mehrjährigen Finanzrahmen sei aber
keine Zielsetzung erreicht worden. Hinsichtlich Zuwanderung zeige die
Regierung nur die österreichische Perspektive, wie sie bei der
Ablehnung des UN-Migrationspakt bewiesen habe. Über den Westbalkan
rede man vorrangig in Zusammenhang mit der Sicherheits- und
Migrationspolitik, ohne auf die hohe Arbeitslosigkeit der Bevölkerung
in Südosteuropa einzugehen. Die Debatte über mehr Subsidiarität, also
verstärkte Mitwirkungsrechte der nationalen Gremien, hält Gamon
dagegen für überflüssig. „Die Europäische Union in der derzeitigen
Bauart hat einen Mehrwert für alle Mitgliedstaaten“, stellte sie
fest.
Die Klimapolitik der EU rückte Martha Bißmann, Abgeordnete ohne
Fraktion, in das Zentrum ihrer Ausführungen zum Ratsvorsitz. Bißmann
bezweifelt, dass dieser die klimapolitischen Interessen Europas und
Österreich beim nächsten UN-Klimagipfel in Polen würdig vertreten
wird, immerhin befasse sich Bundeskanzler Kurz in keiner Weise mit
dem Klimawandel, sondern fokussiere auf „Trendthemen“ wie die
Migration. Nachhaltigkeitsministerin Elisabeth Köstinger habe zwar
die Drastik der Klimakrise, deren Auswirkungen schon spürbar seien,
erfasst, doch maßgebliche Mechanismen dagegen wie eine ökosoziale
Steuerreform seien weiterhin nicht in Reichweite. Dabei diene ein
derartiges Steuersystem besonders der Innovations- und Wachstumskraft
der Wirtschaft, da anstatt des Faktors Arbeit der CO2-Ausstoß
belastet werde. „Ein Leben ohne Ökosteuern ist daher teurer als ein
Leben ohne Ökosteuern“, fasste sie zusammen.
ÖVP: Österreichs Ratsvorsitz zeigt Engagement für Europa
Mit „Herzblut und Einsatz“ sei die Regierung bei der
Ratspräsidentschaft am Werk, zollte hingegen Reinhold Lopatka (ÖVP)
Bundeskanzler Kurz Respekt. Eine verpasste Chance sieht der
Vorsitzende des EU-Unterausschusses einzig bei den
Oppositionsparteien, die nicht an der gestern beendeten
COSAC-Konferenz der Europaausschüsse teilgenommen hätten. In der
Schlusserklärung dieser Konferenz seien die Schwerpunkte der
Ratspräsidentschaft – Sicherheit, Vorgehen gegen illegale Migration,
Förderung des Wirtschaftswachstums – positiv aufgenommen worden und
außerdem habe man klargemacht: „Die Europäische Union wird nur dann
funktionieren, wenn das Subsidiaritätsprinzip wirkt“, wenn also die
nationalstaatlichen Parlamente in die EU-Politik eingebunden werden.
Unisono mit Lopatka bewertet Angelika Winzig (ÖVP) die heimische
Ratspräsidentschaft als erfolgreich. Durch zahlreiche Veranstaltungen
und informelle Ministerräte in den Bundesländern sei die Europäische
Union „zu den Menschen gebracht“ worden. Darüber hinaus zeichne sich
der Vorsitz durch „Leadership“ und „Brückenbauen“ aus, gerade in
Hinblick auf die angestrebten Kooperationen mit afrikanischen Staaten
und den Ländern des Westbalkans.
Zu einer „differenzierten Auseinandersetzung“ mit dem
österreichischen Vorsitz rief Othmar Karas (ÖVP) auf. Die
Ratspräsidentschaft dauere bis Ende Dezember, daher sei es für eine
Bilanz darüber noch „viel zu früh“. Zum EU-Bankenpaket beispielweise
liefen die Verhandlungen noch. „Ein Teil ist fertig, vieles ist
offen“. Großen Wert legt Karas darauf, die Ratspräsidentschaft als
eine Dienstleistung Österreichs an die EU zu sehen. Nicht
Veranstaltungen und Pressekonferenzen seien entscheidend für ihren
Erfolg, sondern der Beitrag Österreichs zu den Verhandlungen auf
EU-Ebene. Allerdings räumte er ein, die österreichische
Ratspräsidentschaft könne nicht dafür verantwortlich gemacht werden,
wenn aufgrund nationaler „Querschüsse“ aus den Mitgliedstaaten
Ergebnisse der Gespräche konterkariert werden.
FPÖ: Regierung schützt Österreichs Interessen in Europa
FPÖ-Europamandatar Harald Vilimsky zeigte sich enttäuscht, weil sich
im Nationalratsplenum kein „Rot-Weiß-Roter-Konsens“ zur
österreichischen Ratspräsidentschaft findet. Fraglos sei der Vorsitz
ein „Best-practice-Modell“, das habe sogar Kommissionspräsident
Juncker anerkannt. EU-weit sehe man eine politische Neuordnung, ging
er näher auf die Arbeiten der Regierung ein, deren Vorsitzführung im
Rat für ihn einen „Katalysator“ in den Anstrengungen für ein sicheres
Europa darstellt. Europa wie auch Österreich seien vor illegaler
Migration zu schützen, präzisierte Vilimsky, weswegen mehrere
Mitgliedstaaten der Republik mit ihrer Absage an den
UN-Migrationspakt gefolgt seien. Die Entscheidungshoheit bei der
Migration müsse auf nationaler Ebene verbleiben.
Österreich habe zurecht die Sicherheit und den Kampf gegen illegale
Migration in den Fokus seiner Ratspräsidentschaft gerückt,
bekräftigte Hannes Amesbauer (FPÖ). Intensiv vorangetrieben würden
auch Maßnahmen zur Sicherung des Wohlstands und der
Wettbewerbsfähigkeit in der EU. Der Ratsvorsitz trete dabei als
„neutraler Vermittler“, aber nicht als „Oberlehrer“ in Europa auf,
verwies der FPÖ-Abgeordnete als Beispiel für die Vermittlertätigkeit
auf die laufenden Brexit-Verhandlungen, die sich dem Ende näherten.
Die EU der 27 Mitgliedsländer solle auch nach dem Austritt des
Vereinigten Königreichs ihre Stabilität wahren. JETZT, SPÖ und NEOS
würden mit ihrer Kritik dem Ratsvorsitz schaden, erboste sich
Amesbauer und rief den Oppositionsabgeordneten zu: „Schämen Sie
sich“.
Dem UN-Mi
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